Reichtum der Märkte

Den zur Schau gestellten Reichtum eines Marktes in der Antike vor Augen

Viele eifrige Leser der Bibel werden nicht wissen, dass man im Neuen Testament eine Liste von 31 Gütern finden kann, die in der Antike rund ums Mittelmeer auf dem Markt einer großen Stadt zum Kauf angeboten wurden. Nicht in den Kleinstädten und Dörfern! Aber in den Metropolen des römischen Reiches, in Rom selbst, in Alexandrien und  in Ephesus, in Antiochien und in Karthago fand man auf den Märkten Gold, Silber und Edelsteine, feine Stoffe, kostbare Gefäße und Gewürze, Wein, Öl und Mehl, Vieh, Schafe und Pferde, dann auch Sklaven und Obst angeboten.

Alles, was man aus den Provinzen des von Rom aus regierten Reichs herbei transportieren konnte, und auch vieles, das von den benachbarten Völkern importiert wurde, war hier zu finden. Auf den großen Märkten konnte man aussuchen und kaufen, was man für einen üppigen Lebensstil brauchte. Hier war es möglich, aus dem Vollen zu schöpfen. Wer hier einkaufen ging, konnte es sich leisten, einen Sinn für Schönheit entwickelt zu haben, und erwerben, was einem in die Augen stach. Römische Bürger waren stolz darauf, dass sie die Herren in einem Weltreich waren und das Geld dafür hatten, zu kaufen, wofür andere Völker hart arbeiten mussten. Rom hatte die Macht, und seine Beamten und Offiziere, besonders die Mitglieder der angesehenen Geschlechter, konnten ihren Lebensstandard höher und höher schrauben. Auf den Märkten stand für sie bereit, was sie sich wünschten.

Eine Liste in dem Klagelied über den Untergang dieses Marktes

Wir finden diese lange Liste von Gütern in dem Klagelied über den Untergang Babylons Offb 18,12-14; wohlgemerkt: Babylon ist im letzten Buch der Bibel der Deckname für Rom. Hier ist auch die Rede von den Kaufleuten, Steuermännern und Seeleuten mit ihren Schiffen, die aus fernen Ländern ihre Waren herbeibringen. So kann dieses prächtige Angebot auf den Märkten der Metropolen angeboten werden. Die Handelswege sind also mitbedacht.

Merkwürdig, erst in dem Klagelied über den Untergang wird das eigentliche Wesen dieses Herrschafts- und Handelssystems offenbar. Waren die Menschen in Babylon zunächst selbstbewusst und überaus fröhlich gestimmt, so herrscht unter ihnen nach dem angekündigten Zusammenbruch tiefe Traurigkeit. Ausdrücklich wird betont, dass jetzt die Stimme der Sänger und Saitenspieler, der Flötenspieler und der Posaunenbläser nicht mehr in Babylon erklingen. Ja, es kommt noch schrecklicher: Bei der Zerstörung Babylons wird offenbar, in welcher Weise Menschen unter dieser Herrschaft gelitten haben, und wie mitten in ihr Propheten, Heilige und viele andere Menschen ihr Leben lassen mussten. Ihr Blut schreit zum Himmel (Offb 18,22.24).

Auch hinter dieser Vision von dem zur Schau gestellten und in sich zusammenbrechenden Reichtum Roms stehen alttestamentliche Texte. Es ist ja ganz und gar nicht zu unterscheiden, wo sich der Seher Johannes auf der Insel Patmos als exzellenter Kenner des Alten Testamentes und als hingebungsvoller Jünger Jesus erweist, wo er sich als überaus aufmerksamer Beobachter seiner Zeit und als einfühlsamer Seelsorger seiner kleinasiatischen Gemeinde zeigt. Und dann hatte er Visionen, die er beschrieb und dann in sein Buch „Offenbarung“ einfügte. Hier erscheint ihm Jesus selbst in Bildern und redet in eindringlichen Worten und Bildern zu ihm. Wo Johannes als von Gottes Geist inspirierter Prophet schreibt, da wirkt all dieses ineinander. Tief im Volk Gottes verankerte Tradition und lebendige Inspiration sind auch hier ineinander verwoben.

Vor allem ist hier hinzuweisen auf Hes 27,1-36, das Klagelied über Tyrus, die wohlhabende Hafenstadt an der östlichen Mittelmeerküste. Zunächst einmal wird die Stadt Tyrus dargestellt in dem Bild eines prächtigen Schiffes (V.4-11) Sie treibt mit vielen Völkern Handel, Jahrhunderte lang, und spricht von sich: „Ich bin die Allerschönste!“ (V.3) Hier in dieser Stadt kann man Silber, Eisen, Zinn und Blei bestaunen; hier findet man Sklaven mit allerlei Hautfarben, dann Elfenbein und Ebenholz, Purpur, bunte Stoffe und feine Leinwand; hier kann man seinen Viehbestand mit Schafen, Widdern und Böcken aufstocken (V.12-25). Breit wird der „Handelsreichtum und die Fülle der Weltbeziehungen dieser Stadt“ dargestellt (V.12-25), die Völker satt und Könige reich gemacht hat durch ihr Handelsgut[1]. Aber dieses Kapitel ist ein Klagelied. Es stellt den Zusammenbruch dieser reichen und weltgewandten Stadt dar. Es ist wahrscheinlich, dass dieses Kapitel Hes 27 dem Johannes auf Patmos als Vorlage diente.

Die Kaufleute sind zu Fürsten geworden

Auf eine Formulierung ist besonders aufmerksam zu achten. In Jes 23,1-18, in dem Gerichtswort des Jesaja gegen Tyrus und Sidon, ist von Tyrus die Rede, „dessen Kaufleute Fürsten waren und dessen Händler die Herrlichsten auf Erden“ (V.8). Kaufleute, die vor allem Geschäfte machen und Gewinne erwirken wollen, werden zu Fürsten und können aus ihrem Krämergeist heraus Politik machen und die Menschen beherrschen. Genau dies wird zitiert, wenn es in Offb 18,23 heißt: „Deine Kaufleute waren Fürsten auf Erden.“ Die Gewinnmaximierung mit Hilfe des damals im Umlauf befindlichen Geldes ist zur treibenden Kraft in der Politik geworden.

Auch der König von Tyrus ist mitgemeint, wenn dem Propheten Jeremia aufgetragen wird, den Taumelbecher auszuschütten: „Nimm diesen Becher mit dem Wein meines Zorns aus meiner Hand und lass daraus trinken alle Völker, dass sie trinken, taumeln und toll werden vor dem Schwert, das ich unter sie schicken will.“ (Jer 25,15f.22) Die Freundschaft zwischen den Königen in Jerusalem und den Königen in Tyrus war lange zu Ende, als Jeremia gegen Ende des 7. Jahrhunderts und am Anfang des 6. Jahrhunderts in Jerusalem predigte und als Hesekiel im 6. Jahrhundert unter den Gefangenen vor den Toren Babylons seine Stimme erhob.

Jerusalem und Tyrus

Tyrus war eine der bedeutenden Städte in den Nachbarvölkern Israels; häufig richten sich die Propheten Jahwes an die Menschen in dieser Stadt; man lese nur Am 1,9; Jes 23,1-23; Joel 4,4ff und Sach 9,3ff. Und man beachte, dass  Jahrhunderte vor Hesekiel, also um 950 v. Chr., die Königen Israels, David und Salomo, zu dem König Hiram von Tyrus ein freundschaftliches Verhältnis hatten. Zwischen Jerusalem und Tyrus bestanden damals lebhafte Handelsbeziehungen. Salomo bat Hiram um Zedern- und Zypressenholz, also um Rohmaterial, für den ersten Tempel, dazu um Bauleute, die ihn bei seinem  Bau des Tempels in Jerusalem unterstützen sollten (1. Kön 5,15ff).

Wo Menschen mit Gott leben, wo sie sich von ihm leiten lassen, da kann sein Segen auch auf ihren Handelsbeziehungen liegen. Aber die Beziehung zwischen den Königen in Jerusalem und den Königen in Tyrus ist nicht so freundschaftlich geblieben. Deshalb richten die Propheten in Jerusalem und Samaria mehrmals Gerichtsworte an den König in Tyrus.

Wirtschaftliche Dynamik und die Dynamik des Reiches Gottes

Hier sei darauf hingewiesen: Es ist bemerkenswert, dass Jesus in seinen etwa 40 Gleichnissen öfter von Bauern (Mt 13,3-8; 24-30) und Weinbergbesitzern (Mt 20,1-16), Großgrundbesitzern (Lk 16,1-9) und Kaufleuten (Mt 13,45f)  redet. Jesus vergleicht die Dynamik und das Erfolgsstreben dieser Menschen bei ihrer täglichen Arbeit mit dem Wachstum des Reiches Gottes und mit dem ganzen Einsatz der Menschen für die Herrschaft Gottes hier auf der Erde. Viel zu besitzen, Güter an- und weiterzukaufen, Menschen für sich arbeiten zu lassen und reicher zu werden, muss nicht davon abhalten, Gott zu vertrauen und in seinem Dienst zu stehen.

Aber die Gleichnisse Jesu decken auch auf, wie reiche Menschen ihr Leben verfehlen. Da ist der reiche Kornbauer, der eine überaus gute Ernte eingefahren hat; seine Gedanken drehen sich aber nur um sich selbst und um die Sicherung seines Reichtums. In der Nacht stirbt er und verliert alles (Lk 12,16-21).

In dem Gleichnis, das in Lk 16 überliefert ist, wird uns ein reicher Mann vor Augen gemalt (V.19-31). Die Charakterisierungen dieses Mannes aus dem Munde Jesu, so wie Martin Luther sie übersetzt hat, sind in unserem Lande sprichwörtlich geworden: „Der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.“ (V. 19) Der arme Mann Lazarus lag  vor seiner Tür, bettelte und konnte sich der Hunde kaum erwehren, die kamen, um an seinen Geschwüren zu lecken. Beide starben. Lazarus fand sich in Abrahams Schoß wieder, der ehemals reiche Mann aber in der Hölle.

Bereits in der Bergpredigt finden wir einen Satz Jesu, in dem er markant das Verführerische des Geldes und des Reichtums ausdrückt und davor warnt. Jesus greift hier auf ein Wort aus seiner Muttersprache, dem Aramäischen, zurück, auf das Wort: „Mammon“[2], und sagt: „Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder wird er den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ (Mt 6,24) Mit den Gleichnissen und mit diesem warnenden Wort über den Mammon wird der Einzelne aufgerüttelt und zur Entscheidung gerufen.

In solchen Texten, wie Jes 23,1-23; Hes 27,1-36 und Offb 18,12-14 es sind, aber wird einer ganze Stadt, in Bezug auf Babylon der Hauptstadt eines Weltreiches, das Gericht Gottes, der völlige Niedergang, angekündigt. Es kann geschehen, dass die Menschen in einer großen Stadt miteinander an den Gewinn, den ein Handel über Landesgrenzen hinweg hervorbringt, gewöhnt und einer verdorbenen Herrschaft ausgeliefert sind. Sie müssen damit rechnen, dass ihre Handelswege und Unterdrückungsmechanismen eines Tage zerfallen wie ein von Motten zerfressenes Kleid. Sie haben die Natur, die Tiere und die Menschen nicht mehr geachtet und sie haben, ohne Gott zu fürchten, gelebt und geherrscht.

Impuls: Gerade in den Ländern der westlichen Welt spielen das Geld, das Kapital und der Wohlstand eine große Rolle. Ein wichtiges Ziel ist es in der Politik, den Wohlstand der Menschen zu erhalten. An welchen Stellen lassen uns die in diesem Kapitel angeführten Stellen des Alten und Neuen Testamentes aufhorchen?    

 

[1] Walter Zimmerli, Ezechiel, 2. Teilband Ezechiel 25-48, Biblischer Kommentar Altes Testament, hg. v. M. Noth und H.W. Wolff, Neukirchen-Vluyn 1969, S. 661

[2] G. Lohfink, Jesus von Nazaret – Was er wollte, wer er war, Freiburg im Breisgau 2011, S. 149