Frauen- und Männerbild im Islam

Im Sommer 2015 erlebten meine Frau und ich Urlaubswochen im Salzachtal in Österreich. Bei einem Besuch in Zell am See wurden wir überrascht. Während unserer Spaziergänge durch den Urlaubsort und am Strand des Sees entlang sahen wir sicher 100 Frauen, tief verhüllt in ihren langen, schwarzen Burkas. Viele Ehepaare und Familien aus den reichen Staaten der arabischen Halbinsel genossen hier ihren Urlaub. Sie kamen aus einem Wüstenland. Das weite Tal in diesem Alpenland muss ihnen wie das Paradies auf Erden vorgekommen sein.

Frauengruppen bummelten durch die Geschäfte. Familien saßen miteinander auf der Terrasse eines Hotels oder lagerten auf den Wiesen am Ufer. Arabische Männer – durchaus in mitteleuropäischer Freizeitkleidung – liefen ihren Frauen voraus. Manche gingen schweigsam nebeneinander her. Andere sprachen locker und liebevoll miteinander, wenn sie nicht gerade mit ihrem Handy beschäftigt waren.

Leben unter einem schwarzen Umhang

Es gab durchaus einige Frauen, denen man ins Gesicht sehen konnte. Die meisten jedoch waren schwarz verhüllt, bis auf einen schmalen Schlitz für ihre Augen. Das wirkte nicht nur exotisch, sondern vielmehr beklemmend auf uns. Konnten doch diese Frauen aus ihrer Verhüllung die Menschen sehen; sie selbst aber verbargen sich vor den Blicken anderer. Es wirkt unbehaglich auf Menschen hier in Europa, wenn sich so Frauen aus islamisch geprägten Ländern verschleiern, weil es ihnen streng verboten ist, in der Öffentlichkeit ihr Gesicht zu zeigen.

Bei Demonstrationen in unserem Land gilt das Vermummungsverbot. Zu einer offenen Gesellschaft gehört ein offenes Visier. Dies ist der Ausdruck der Kultur unseres Landes. Jeder soll erkennbar sein und sein Gesicht zeigen, d. h. zu seiner Person stehen und seine Handlungen verantworten, auch wenn man das eigene Haus verlässt.

Was zum größten Teil zur Kultur der islamischen Welt gehört, ist in unserem Land nicht nur äußerst gewöhnungsbedürftig. Es fordert vielmehr heraus, sich intensiv den Fragen zu stellen: Wie leben Frauen und Männer in Europa, in Asien und in Afrika miteinander? Wie verhalten sich die Geschlechter zueinander in den immer säkularer werdenden Ländern der Welt, wie in den vom Christentum geprägten Ländern und wie in den vom Islam bestimmten Ländern?

 

Was der Koran über Mann und Frau lehrt

Es soll jetzt beleuchtet werden, wie nach dem Koran die Beziehung der Geschlechter zueinander beschrieben wird. Auch hier muss es beachtet werden, dass es nur um eine kurze Skizze gehen kann. Es kann nicht ausführlich beschrieben werden, welche Veränderungen sich in der 1.400-jährigen Geschichte des Islam ergeben haben und wie man immer neu auf das am Anfang dieser Geschichte Gebotene zurückgreift. In den mehr als 50 islamisch geprägten Ländern der Erde heute zeigen sich große Unterschiede. Die Vertreter der unterschiedlichen Rechtsschulen, also die Malikiten, die Schafiiten, die Hanbaliten und andere haben unterschiedliche Überzeugungen[1]. Es gibt viele ländlich geprägten Dörfer und Städte, in denen man wie vor Jahrhunderten nach den tradierten Rollenbildern zusammen lebt.

In vielen Städten dieser Länder aber haben inzwischen Frauen wie Männer die Schule und das Gymnasium besucht und sind an den Universitäten in akademischen Berufen ausgebildet worden. Auch Frauen haben in der Wissenschaft und in der Politik Karriere gemacht, wurden Professorinnen und bekleiden höchste Staatsämter. Emanzipatorische Gedanken haben auch in arabischen Ländern Frauen dahin gebracht, leidenschaftlich um ihre Rechte zu kämpfen[2]. Erst recht versuchen Frauen autonom, ganz aus sich selbst heraus, zu leben, die ihre Wurzeln in islamischen Ländern haben, aber sich inzwischen in Deutschland ausbilden ließen und ihren Weg als Schriftstellerinnen, Juristinnen oder Politikerinnen gefunden haben. Zu ihnen gehören die Frauen, die ihren Beitrag zu dem Buch „Deutschland erfindet sich neu“ beigesteuert haben, wie: Hilal Sezgin, Aylin Selcuk, Fereshta Ludin, Mely Kiyak, Yasemin Karaasoglu, Lamya Kaddor, Miyesser Ildem, Kübra Gümüsay, Naika Foroutan, Pegah Ferydoni, Sineb El Masrar und Hatice Akyün[3].

Männer und Frauen – völlig ebenbürtig

Und doch gibt es auch im Islam Grundlinien, die das Verhältnis der Geschlechter zueinander kennzeichnen. Muslime und Muslimas, die mit dem Koran leben, besonders diejenigen unter ihnen, die ihre Treue zum Koran verteidigen, betonen zunächst einmal: Männer und Frauen sind völlig ebenbürtig von Gott erschaffen. Sie weisen hin auf den Satz: „Erschaffen hat Er euch von einer Seele.“ (Sure 39,6, siehe auch Sure 49,13 und 4,1) In diese Richtung weist auch Sure 9,71: „Und die Gläubigen sind einer des anderen Freunde.“ Da ist auch der schöne Satz: „Er hat zwischen euch Liebe und Barmherzigkeit gesetzt.“ (Sure 30,21) Oder der andere: „Erlaubt ist euch, zur Nacht des Fastens eure Weiber heimzusuchen. Sie sind euch ein Kleid, und ihr seid ihnen ein Kleid.“ (Sure 2,187)

Betont wird auch, dass Männer und Frauen nach dem Koran in ihrer Religion die gleichen Pflichten haben. So heißt es: „Wer das Rechte tut, sei es Mann oder Weib, wenn er nur gläubig ist, den wollen wir lebendig machen zu einem guten Leben und wollen ihn belohnen für seine besten Werke.“ (Sure 16,97) Ebenso Sure 40,40: „Wer das Rechte getan hat, sei es Mann oder Weib, wo fern sie gläubig waren, die treten ein ins Paradies, in dem sie ohne Maß versorgt werden sollen.“

Christine Schirrmacher weiß darüber hinaus, dass Muslimas und Muslime hier folgendermaßen argumentieren: „Frauen könnten nach der Eheschließung sowohl ihren Namen als auch ihren Besitz behalten – was in westlichen Ländern schließlich nicht der Fall sei – und selbständig über ihren Besitz verfügen. Und schließlich sei Männern und Frauen gleichermaßen der Eingang ins Paradies verheißen – keineswegs nur Männern, wie immer noch fälschlicherweise über den Islam behauptet wird.“[4]

Auch im Islam findet man anrührende Liebesliteratur. Weltweit bekannt sind „Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“[5]. Diese Erzählungen haben ihren Ursprung in Indien, kamen nach Persien und wurden im 8. Jahrhundert in Bagdad „islamisiert“. Dann gab man sie in immer neuen Fassungen in den islamisch geprägten Ländern weiter. So erreichten sie Weltruhm. Auch im Islam weiß man intensiv um Liebe und Zärtlichkeit im Zusammenleben der Geschlechter.

Die Schattenseiten der westlichen Welt bleiben nicht verborgen

Menschen in den islamischen Welten halten auch deshalb an ihren überkommenen Lehren fest, weil ihnen die Schattenseiten der westlichen Welt nicht verborgen geblieben sind. „Die sogenannte christliche Welt beurteilt“ der Muslim „im Lichte seines Heiligen Buches. …Vor allem an dem moralischen Zustand der Menschen in den sogenannten christlichen Ländern nimmt er Anstoß. Er verabscheut die im Westen weit verbreitete materialistische Gesinnung. Das Verhalten vieler Frauen erscheint ihm schamlos. Es widerspricht nach seinem Empfinden ganz und gar den muslimischen Sitten. Er sieht schließlich, dass viele Menschen der westlichen Welt allerlei Arten der Sucht verfallen sind, zumeist dem Alkohol und den Drogen“, so hat es Siegfried Raeder beobachtet[6].

Dass Millionen in islamisch geprägten Ländern durch die modernen Medien das Leben in Europa und in den USA vor Augen haben, davon fasziniert sind und es sie lockt, daran teilzuhaben, ist eine andere Sache. Gerade im Spätsommer, Herbst und Winter des Jahres 2015 strömen hunderttausende Menschen aus den maroden Staaten Vorderasiens nach Europa. Für ganz viele von ihnen ist Deutschland das Land ihrer Sehnsucht.

Die beiden Grundpfeiler:

Pflicht auf Unterhalt und Recht auf Gehorsam

Nun aber muss dargestellt werden, woran die Menschen in Europa und in Nordamerika, unter ihnen die Christen, Anstoß nehmen. Christine Schirrmacher betont, wie stark der Islam vom patriarchalischen Denken geprägt ist. Hier hatte über Jahrhunderte hinweg, hat heute und behält Sure 4,34 ihre Bedeutung: „Die Männer sind den Weibern überlegen wegen dessen, was Allah den einen vor den anderen gegeben hat, und weil sie von ihrem Geld (für die Weiber) auslegen. Die rechtschaffenen Frauen sind gehorsam und sorgsam in der Abwesenheit (ihrer Gatten), wie Allah für sie sorgte. Diejenigen aber, für deren Widerspenstigkeit ihr fürchtet – warnet sie, verbannet sie in die Schlafzimmer und schlaget sie. Und so sie euch gehorchen, so suchet keinen Weg wider sie; siehe, Allah ist hoch und groß.“

Dass der Koran nach dieser Sure den Männern erlaubt, in der Ehe Gewalt auszuüben, um ihren Frauen gegenüber ihren Willen durchzusetzen, ist für Christen unfassbar. Christine Schirrmacher folgert aus dieser in Medina niedergeschriebenen Sure: „Aus diesem Koranvers Sure 4,34 werden die beiden Grundpfeiler des islamischen Eherechts abgeleitet: Die Verpflichtung des Mannes zum Unterhalt seiner Frau und Familie und sein Recht auf den Gehorsam durch seine Ehefrau.“[7] An anderer Stelle betont Christine Schirrmacher, dass sich „die unterschiedliche Rollenzuweisung für Mann und Frau … bereits in der geschlechtsspezifischen Kindererziehung“ zeigt: „Der Sohn wird früh zur Dominanz, zur Demonstration von Stärke und zum Herrschen erzogen, die Tochter zum Dienen, Gehorchen und Sichfügen.“[8] Man muss damit rechnen, dass diese Kindererziehung in vielen muslimischen Familien geschieht und geschehen wird, die inzwischen seit Jahren und Jahrzehnten in europäischen Ländern wohnen oder jetzt noch einmal neu in sie hinein drängen.

Häufig sind die Ehen arrangiert

Hier ist es zu bedenken, dass in islamischen Ländern „die häufigste Form der Eheschließung noch immer die von den Eltern arrangierte Ehe“ ist. Oft ist eine solche Ehe gleichzeitig eine Heirat innerhalb der eigenen Großfamilie. Eine solche Ehe wird „in der Regel von der Mutter des Bräutigams in Absprache mit der Brautmutter initiiert oder aber vom Vater des Bräutigams mit dem Brautvater angebahnt“[9]. „Wichtigster Bestandteil der islamischen Eheschließung ist der Vertrag, der zwischen den beiden beteiligten Familien geschlossen wird. Die Braut handelt dabei in der Regel nicht selbständig, sondern lässt sich durch den Vormund vertreten. Die Eheschließung kommt zustande, wenn vor zwei erwachsenen, in der Regel männlichen Zeugen, der Ehevertrag unterzeichnet wird und die Zeugen ihn unterschreiben.“[10] Dabei gestehen einige der Rechtsschulen „dem Vater … das Recht auf Verheiratung der Tochter auch ohne deren Zustimmung zu“[11].

Necla Kelek erzählt am Anfang ihres Buches „Die verlorene Braut“ ausführlich von einer rundherum gelungenen Hochzeit in einer Stadt am Marmara-Meer. Ihr Bruder heiratet. Als kleiner Junge ist er mit seinen Eltern und Geschwistern nach Deutschland gekommen. Jetzt hat er „zwar einen türkischen Pass, aber er ist in allem von seinen Erfahrungen in Deutschland geprägt, wo er .., aufgewachsen und zur Schule gegangen ist.“ Bei dieser Hochzeit in der Türkei hat man sich an vielerlei Bräuchen aus dem Stamm der Tscherkessen orientiert; das Ungewöhnliche aber ist, dass der Bruder und seine Frau alles selbst bestimmt haben[12]. Ob diese phantastische Hochzeit allerdings noch eine Hochzeit im Sinne des Islam ist, verrät Necla Kelek nicht.

In dem Kapitel mit der zweiten Überschrift: „Die Ehre der Familie“, beschreibt Necla Kelek, wie sie selbst bei ihren Freundinnen aus türkischen Familien den Druck miterlebte, eine von der Familie arrangierte Ehe einzugehen. Besser nennt man diese Hochzeiten „Zwangsverheiratungen“. Sie greift in ihrem Buch „Die verkaufte Braut“ auf den unglaublichen Erfahrungsschatz ihrer Großfamilie zurück, schildert, wie Muhammad selbst und seine Frauen zusammen gelebt haben und was über die Jahrhunderte hinweg die Menschen in islamisch geprägten Ländern bestimmt hat. Vor allem erzählt Necla Kelek, wie sie selbst ihren Weg heraus aus den Traditionen ihre Volkes und ihrer Religion und hinein in ein autonomes (= selbstbestimmtes) Leben gesucht und gefunden hat[13].

Dann blickt sie zurück auf das, was in der Welt gilt, aus der sie stammt: „Die Hochzeit ist der Höhepunkt im Leben einer türkischen Familie. Den Sohn oder die Tochter ehrenvoll zu verheiraten und eine große Feier auszurichten, ist die vornehmste Aufgabe der Eltern“, so schreibt Necla Kelek[14]. „Sobald ein junges Mädchen zur Frau wird, muss es verheiratet werden, damit es die Ehre der Familie nicht beschmutzen kann.“ „Die Vorstellung, dass sich ein Junge und ein Mädchen anfreunden, ist für einen frommen Muslim mit Versuchung, Ehrverlust und Sünde besetzt.“ „Schon der Flirt in der Schule, das Treffen an der Straßenecke gilt als anstößig und unerwünscht.“ Und dann deckt Necla Kelek auf, was in Wahrheit geschieht: „Es ist eine Tradition des Misstrauens. … Mitten im natürlichen Ablösungsprozess von den Eltern erleben die Mädchen, dass ihnen nicht geglaubt wird und dass sie fremdbestimmt werden.“[15]

Necla Kelek stellt es noch einmal umfassender dar: „Es geht in jedem Jahr nicht um Hunderte, sondern um tausende junger Menschen. Ich gehe davon aus – alle Recherchen sprechen dafür – dass mindestens die Hälfte dieser Ehen arrangiert oder erzwungen wurden. Warum sollte ein junger Mann aus Berlin, Hamburg oder Köln ausgerechnet ein Mädchen aus Anatolien heiraten, das er meist höchstens einmal vor der Eheschließung gesehen hat? Bestimmt nicht aus Liebe, sondern weil die Eltern, die Tradition und die Religion ihm nicht gestatten, selbst eine Partnerin zu wählen.“

Ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz

Necla Kelek hebt hervor, dass dies ein klarer Verstoß gegen Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist, in dem es heißt: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“[16] Einige Seiten weiter betont Necla Kelek: „Arrangierte Ehen sind Zwangsheiraten, denn eine Religion, eine Kultur oder ein Stammesbrauch, der dem Einzelnen sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verweigert, widerspricht der deutschen Verfassung und den Menschenrechten.“[17]

Hier reiben sich die Grundrechte von Frauen und Männern, so wie sie in den Verfassungen der Länder der westlichen Welt festgelegt sind, und biblisch begründete Überzeugungen mit dem, was in den islamisch geprägten Ländern als Recht gilt, massiv. Christine Schirrmacher schreibt: „Angesichts der ungebrochenen Anerkennung der Scharia erstaunt es nicht, dass auch im heutigen Eherecht islamischer Länder der Ehemann als das unbestrittene Oberhaupt der Familie gilt.“[18] Susanne Baer stellt fest: „Tatsächlich sind Verstöße gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau in islamisch geprägten Gesellschaften überaus häufig.“[19] Ziemlich aufrüttelnd formuliert Tilman Nagel es: „Dass die Vorschriften des Korans den Frauen die Gleichberechtigung mit den Männern rundweg absprechen, ist eine weithin bekannte Tatsache und bedarf keiner erneuten ausführlichen Dokumentation. Als eine eigenständige Persönlichkeit kommt Mohammed die Frau im Koran nicht in den Blick; sie wird stets vom Mann aus definiert.“ Und dann zitiert Nagel Sure 2, 228: „Die Männer haben eine Stufe (Vorrang) vor ihnen.“[20]

Das Züchtigungsrecht des Mannes in der Ehe

Dass der Mann nach dem Koran und in der Scharia Vorrang gegenüber der Frau hat, zeigt sich besonders drastisch in dem Züchtigungsrecht des Mannes in der Ehe. Eindeutig steht in Sure 4,34: „Diejenigen aber, deren Widerspenstigkeit ihr fürchtet, ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!“ Es ist hier eine dreistufige Ermahnung vorgesehen: „Auf die Ermahnung der Ehefrau folgt die sexuelle Vernachlässigung und als letzter Schritt die Züchtigung.“[21] „Dass der Koran das Schlagen der Ehefrau im Falle ihres Ungehorsams vorsieht, wird von muslimischen Theologen in aller Regel nicht bestritten.“[22] Christine Schirrmacher schildert hier, wie einige Ausleger des Korans dies geschmeidiger und andere drastischer auszulegen versuchen. Dass es Männern im Islam erlaubt ist, sich mit körperlicher Gewalt gegenüber Frauen durchzusetzen, wird man nicht weginterpretieren können. Außerdem gebietet der Koran, außerehelichen Geschlechtsverkehr hart zu bestrafen: „Die Hure und den Hurer, geißelt jeden von ihnen mit hundert Hieben.“ (Sure 24,2) Annemarie Schimmel fügt hier in der von ihr herausgegebenen Koranausgabe als Anmerkung hinzu: „Beachtenswert ist, dass für Ehebrecher und Ehebrecherinnen das gleiche Strafmaß angesetzt wird.“[23]

Wo junge Mädchen und erwachsene Frauen so massiv von ihrer Familie, ihrem Stamm und ihrer Religion in eine untergeordnete Stellung versetzt werden, begehren sie auf, folgen sie dem Drang ihrer Gefühle und gehen sie Beziehungen ein, die ihre familiäre Umgebung strikt ablehnt. Wenn sie sich so dem strengen Sittenkodex ihrer Familie entziehen und es offenbar wird, reagiert die Familie oft gnadenlos. Diese Frau, oder dieses Mädchen hat die „Ehre der Familie“ beschmutzt. Also muss sie betraft werden. Morde im Namen der „Familienehre“ kommen auch in Brasilien, in Ecuador, in Italien und in Indien vor; sie sind aber besonders häufig in islamisch geprägten Ländern.

Christine Schirrmacher stellt fest: „Einerseits ist unzweifelhaft, dass der Ehrenmord weder im Koran, noch in der islamischen Überlieferung oder klassischen Theologie eine Begründung findet, zumal die Tradition des Ehrenmordes wesentlich älter ist als der Islam. Andererseits sind Ehrenmorde heute überwiegend – wenn auch nicht ausschließlich – in islamischen Gesellschaften zu verzeichnen.“[24] Rainer Hermann berichtet davon, dass sich inzwischen in der Türkei eine „schnelle Eingreiftruppe“ gebildet hat. „Sie hat den Auftrag, von Ehrenmorden bedrohte Frauen zu retten.“ Und dann schreibt Hermann: „Um Ehrenmorden zuvorzukommen, begannen sie eine Kampagne, bei der sie Plakate an die Portale von Moscheen schlugen. Denn kein Männerrat einer Familie beschließt den Tod einer Frau ohne die Zustimmung des Imams.“[25] Damit bestätigt er die Feststellungen von Christine Schirrmacher.

Ursula Spuler-Stegemann schreibt: „Bereits das kleinste Fehlverhalten der Frau kann tödlich sein: Der Widerstand gegen die von den Eltern geplante Heirat kann sich zur Tragödie auswachsen. Schon ein verliebter Blick oder ein heimliches Treffen mit einem Freund kann lebenslängliche Gefangenschaft im Elternhaus bedeuten, die entdeckte Flucht mit dem Geliebten den gemeinsamen Tod.“[26] Inzwischen ist eine Vielzahl solcher „Ehrenmorde“, die man als „Schandmorde“ bezeichnen muss, auch in Deutschland publik geworden.

Die Schüsse in Hatuns Kopf galten unserer Gesellschaft

Necla Kelek beginnt ihr Vorwort zur 2. Auflage ihres Buches mit der Schilderung eines Ereignisses, das für viele wie ein Fanal wirkte. Am 7. Februar 2005 wurde die 23-jährige Kurdin Hatun Sürücü in Berlin ermordet. „Ihre drei Brüder wurden kurz darauf verhaftet und angeklagt, die Tat gemeinsam begangen zu haben. Der Verdacht der Polizei: Die Schwester musste sterben, weil die mutmaßlichen Täter meinten, sie habe durch ihre Lebensweise die ‚Ehre der Familie‘ beschmutzt. Der älteste Bruder soll die Waffe besorgt, der zweite Schmiere gestanden und der Jüngste der Schwester in den Kopf geschossen haben. Es war der fünfte so genannte ‚Ehrenmord‘ in Berlin in Jahresfrist.“ „Im Sinne der Familientraditionen und mit Hilfe des Korans hatte Ayan nicht seine Schwester ermordet, sondern ein Problem gelöst. Die Söhne sind in diesen Kreisen der dem Kollektivgedanken des Clans verhafteten Menschen die Ordnungsmacht der Familie. Sie dürfen den Vater nicht enttäuschen, sie haben versagt, wenn die Schwester oder Frau nicht gehorcht. Der Jüngste hat mit der Beseitigung der Schwester die Schande von der Familie genommen.“

Und dann folgert Necla Kelek: „Hatun wurde zwangsverheiratet, geschlagen, eingesperrt und zum Schluss ermordet. Alles unter Berufung auf die Tradition und den Koran. Hatun wollte leben wie eine Deutsche. Das wurde ihr zum Verhängnis. Die Schüsse in ihren Kopf galten unserer Gesellschaft.“[27] Wo in irgendeiner Migrantenfamilie ein Mädchen oder eine Frau so im Namen der sogenannten Ehre von ihren eigenen Brüdern hingerichtet wird, wie es bei der Kurdin Hatun Sürücü geschah, da wird in grausamer Weise offenbar, dass diese Familie die Rechte der Menschen und den Willen Gottes nicht versteht und nicht achtet.

Es gibt eine große Zahl von Büchern über das Miteinander von Männern und Frauen im Christentum und im Islam. Und man hätte noch über viele Themen zu schreiben[28]. Dazu ist unsere Zeit so geartet, dass sich jeder Einzelne selbst sein Urteil bilden will und kann, je nachdem, was er selbst erlebt hat, welche Sendungen er im Fernsehen gesehen, was er in Zeitungen und Zeitschriften gelesen hat und nach welchen Werten er sich in seinem Gewissen richtet.

 

 

[1] Chr. Schirrmacher, Frauen unter der Scharia, in: Frauen und die Scharia. Die Menschenrechte im Islam, hg. v. C. Schirrmacher u. U. Spuler-Stegemann, München 2006, 2. Auflage, S. 13-218, S. 93

[2] Vgl. Bärbel Debus, Islamischer Feminismus als Erneuerungs- und Modernisierungsversuch. Zeitschrift des Instituts für Islamfragen (IFI) Nr. 2/2004 (4. Jg.), S. 37-39

[3] Manifest der Vielen. Deutschland erfindet sich neu, hg. v. Hilal Sezgin, Berlin 2011

[4] Chr. Schirrmacher, Frauen unter der Scharia, S. 79

[5] Die schönsten Geschichten aus tausendundeiner Nacht, ausgewählt und übersetzt von Enno Littmann, Frankfurt und Leipzig 2002

[6] S. Raeder, Der Islam und das Christentum. Eine historische und theologische Einführung, Neukirchen-Vluyn 2003, 2. Auflage, S. 202

[7] Chr. Schirrmacher, Frauen unter der Scharia, S. 85

[8] A.a.O., S.216

[9] A.a.O., S. 90

[10] A.a.O., S. 92

[11] Necla Kelek, Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland, München 2006, 5. Auflage, S. 93

[12] A.a.O., S. 21-25

[13] A.a.O., S. 138-159

[14] A.a.O., S. 227

[15]A.a.O., alle Zitate auf S. 229

[16] A.a.O., S. 232f

[17] A.a.O., S. 236

[18] Christine Schirrmacher, Frauen unter der Scharia, S. 85

[19] S. Baer, Art.: Gleichberechtigung von Mann und Frau (juristisch), in: Evangelisches Staatslexikon. Neuausgabe, hg. v. W. Heun, M. Honecker, M. Morlock, J. Wieland, Stuttgart 2006, Sp. 847-851, Sp. 851

[20] T. Nagel, Angst vor Allah. Auseinandersetzungen mit dem Islam, Berlin 2014, S. 369f

[21] Christine Schirrmacher, Frauen unter der Scharia, S. 129f

[22] Ebd.

[23] Der Koran. Aus dem Arabischen übersetzt von Max Henning. Einleitung und Anmerkungen von Annemarie Schimmel, Stuttgart 1991,S. 334

[24] Chr. Schirrmacher, Ehrenmord und Ehrvorstellungen in islamisch geprägten Gesellschaften, Zeitschrift des Instituts für Islamfragen (IFI) Nr. 2/2006 (6.Jg.), S. 24-29

[25] R. Hermann, Wohin geht die türkische Gesellschaft? Kulturkampf in der Türkei, München 2008, S. 249f

[26] U. Spuler-Stegemann, Lebenswirklichkeiten zwischen Tradition und Aufbegehren, in: C. Schirrmacher, U. Sp-St., Frauen und die Scharia, S. 221-274, S. 46

[27] N. Kelek, Die fremde Braut. S. 9-11f. Zu den „Ehrenmorden“, besser sagte man: „schändliche Morde“, vgl. U. Spuler-Stegemann: Lebenswirklichkeiten zwischen Tradition und Aufbegehren, S. 245-248. Tom Doyle/Greg Webster, Träume und Visionen. Wie Muslime heute Jesus erfahren, Gießen 2014, 4. Auflage, Teil V: Jordanien – Ehre für Ehrenmorde, S. 94-120

[28] Christine Schirrmacher und Ursula Spuler-Stegemann haben es in Ihrem Buch: „Frauen und die Scharia“ getan.