Fröhliche Gottesdienste

„Unsere Gottesdienste sind fröhlicher geworden!“, so war der Artikel in der Tageszeitung am nächsten Tag überschrieben. Ich hatte den Satz in meiner Begrüßung der Gemeinde beim Gottesdienst anlässlich des „Tages der offenen Tür“ des Wohnheimes für geistig behinderte junge Frauen und Männer gesagt. Damit war zusammen gefasst, was wir über Jahre hinweg in einer meiner früheren Gemeinden miteinander erlebt haben.

Einmal sang der Sponti-Cor dieses Hauses in unserem Gottesdienst. Ein Mädchen klatschte bei einem Lied – wie sie es immer tat – in die Hände. Wie selbstverständlich klatschte die ganze Gemeinde mit. Das war das erste Mal, dass in unserem Gottesdienst geklatscht wurde.

 

Als ich vor Jahren als junger Pastor in diese Gemeinde kam, lebten die Bewohner und Mitarbeiter dieses Hauses neben der Gemeinde her. Das Miteinander fing damit an, daß wir uns einen Sommer lang jeden Donnerstagabend auf dem schönen Sportplatz des Hauses zum Volleyballspielen verabredeten, Heimbewohner, Mitarbeiter, Jugendliche der Gemeinde und ich. So kamen wir uns näher.

Ein nächster Schritt war, dass ich zehn Tage mit einer Gruppe des Hauses zum Zelten in die Rhön fuhr. Da erlebte ich die jungen Männer rund um die Uhr. Mit Albert konnte ich mich kaum unterhalten, aber sein Zelt hielt er tip-top in Ordnung. Herbert brauchte lange für die ihm zugeteilte Arbeit, aber nachher war der Waschraum blitzblank. Reinhard holte jeden Morgen für alle Brötchen. Dieter half dem Mann, der am Ruderteich die Boote verlieh. Klaus bändelte sogar mit den Mädchen des Dorfes an. Und Holger löste während der Wanderung die Denksportaufgabe, die ich ihm gab. So lernte ich die geistig-behinderten jungen Leute in ihren Gaben und Grenzen ganz anders kennen, als bei den Hallo-Kontakten an der Kirchentür. Wir unternahmen lange Wanderungen, gingen Minigolf-Spielen, bereiteten das Essen vor und aßen dann im Freien. Ich erinnere mich noch gut, wie wir zusammen ausgiebig eine Kirche besichtigten.

Eines Tages war es dann ganz selbstverständlich, dass eine Gruppe aus dieser diakonischen Einrichtung regelmäßig in unserem Gottesdienst mit dabei waren. An der Tür begrüßten sie gut vernehmlich den Küster, die Presbyter und den Pastor. Sie hatten ihre Stammplätze vorne links in der Kirche. Einige Teile der Liturgie waren ihnen haften geblieben, und sie sangen sie mit. Nachher blieben sie, wenn man miteinander Kaffee trank, da. Sonntag für Sonntag saßen sie hier mit älteren und jüngeren Gemeindegliedern zusammen. Es ergaben sich sogar einige Freundschaften zu Familien, in denen sie dann regelmäßig eingeladen wurden.

Was die jungen Leute im Gottesdienst verstanden, wusste keiner von uns. Aber sie kamen gerne und waren richtig fröhlich dabei. Da Albert während des Gottesdienstes vor allem nach vorne auf den Pastor schaute, hob er beim Segen zum Schluss beide Arme, wie er das vorne sah. So tief ließ er sich in das gottesdienstliche Geschehen hinein nehmen.

An einem Sonntag passierte ein Unglück. Die Gemeinde wurde eingeladen, zum Abendmahl nach vorne zu kommen. Artur wollte aufstehen wie die anderen. Da hielt ihn ein Presbyter zurück und sagte: „Das ist nichts für dich.“ Was er angerichtet hatte, merkte er daran, dass bei Artur die Tränen flossen. Schlagartig wurde uns klar, dass die Bewohner dieses Hauses für Behinderte ganz und gar und in allem zu unserem Gottesdienst gehören. Diese geistig behinderten jungen Frauen und Männer sind zum Abendmahl eingeladen, ganz gleich, ob sie getauft sind oder nicht, ob sie irgendwann einmal zum Abendmahl zugelassen worden sind oder nicht. Sie gehörten richtig mit dazu, kamen gerne und haben mit ihrer Fröhlichkeit und Spontaneität unsere Gottesdienste mitgeprägt. Unseren Gottesdiensten fehlte etwas, wenn sie nicht mit dabei waren.

Es war ein langer Weg bis dahin gewesen; Barrieren und Vorbehalte mussten offenbar gemacht und überwunden werden; Wir mussten uns einfach kennen lernen und mitbekommen, dass auch einem an Geist und Seele behinderten Menschen der Gemeindegottesdienst und das Zusammensein mit anderen Menschen in der Gemeinde wichtig ist. So haben wir das Wesen christlicher Gemeinde noch einmal ganz anders entdeckt.

In Apg.13, Vers 1-3, wird die junge Christengemeinde in Antiochien folgendermaßen beschrieben: „Es waren aber zu Antiochien in der Gemeinde Propheten und Lehrer, nämlich Barnabas und Simon, genannt Niger, und Lucius von Kyrene, und Manahen, der mit Herodes, dem Vierfürsten erzogen war, und Saulus. Da sie aber dem Herrn dienten und fasteten, sprach der Heilige Geist: Sondert mir aus Barnabas und Saulus zu dem Werk, dazu ich sie berufen habe. Da fasteten sie und beteten und legten die Hände auf sie und ließen sie ziehen.“

Die wenigen Namen, die hier genannt werden, machen deutlich, dass hier in dieser asiatischen Stadt Antiochien sehr unterschiedliche Menschen im Namen Jesu miteinander zu leben gelernt hatten: Juden, Griechen und Afrikaner, Weiße, Schwarze, Gebildete, Ungebildete, Handwerker und Leute aus dem Königshaus. Es ist anzunehmen, dass diese Menschen zunächst aneinander aneckten und Lernprozesse durchmachen mussten. Aber dann wagten sie es, sich einander lieb zu haben, miteinander den Namen Jesu bekanntzumachen und dem Wirken des Geistes Gottes zur Verfügung zu stehen. Dass eine christliche Gemeinde kraftvoll zusammen lebt, zusammen arbeitet und zusammen feiert, muss nicht blasse Theorie bleiben; es kann gelebt werden.

Und braucht nicht jeder von uns einen Ort, an dem er von Gott und den Menschen mit seinen Stärken und Schwächen, mit seiner Freude und mit seiner Angst, mit seinen Leistungen und mit seiner Schuld angenommen ist? Das ist dann der Ort, an dem er für sich persönlich und mit der Gemeinde zusammen das Werk entdecken, anpacken und in die Tat umsetzen kann, zu dem ihn sein Schöpfer geschaffen, begabt und bevollmächtigt hat.

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