Predigt über Lk 2,19

Predigt über Lk 2,19: „… und bewegte sie in ihrem Herzen“

                                                   Christvesper Nammen, 24.12.2017

                                         Nordhemmern, 26.12.2023

Liebe Gemeinde,

Mitte 1947 zogen unsere Eltern, mein älterer Bruder Friedhelm und ich aus dem zerbombten Berlin in die Heimatstadt meiner Eltern Remscheid-Lüttringhausen. Ich war damals ein Jahr alt. Wir kamen in der 3-Zimmerwohnung meiner Großeltern unter. Diese Wohnung war eng für 6 Personen. Mein Bruder wurde in den Kindergarten geschickt. Als er 4 oder 5 Jahre alt war, bekam unsere Mutter mit, dass er dort ein Weihnachtsgedicht gelernt hatte. Sie ließ es ihn aufsagen, man kann auch sagen: Sie zog es ihm aus der Nase. Das Gedicht fing an:

„Weißt du warum Weihnacht ist, / überall auf Erden,

weil der liebe, heilge Christ / kam ein Mensch zu werden.

Aus dem hohen Himmelszelt, / wo uns Sternlein grüßen,

stieg er nieder auf die Welt, / unsre Schuld zu büßen.

Ja, er liebt uns alle so, / auch die kleinen Schwachen,

will uns glücklich, frei und froh, / und ganz selig machen.“

1950 zogen wir nach Hagen-Haspe. Dort wurden zwei weitere Brüder geboren. Jeder von uns, wenn er alt genug war, lernte dieses Gedicht auswendig und sagte es unter dem Weihnachtsbaum auf.

Es soll heute um die Geburt Jesu und um Maria, die Mutter gehen.

(Eine Pfarrfrau: „Ich habe einmal darum um Vergebung bitten müssen, dass ich Maria nicht genügend beachtet habe.“

In der ersten Zeit meines Theologiestudiums an der Kirchlichen Hochschule Bethel hörte ich dort den Vortrag eines katholischen Priesters, des Theologieprofessors Joseph Lortz. Einen Satz habe ich mir von ihm gemerkt. Er bekannte von sich: „Wenn ich etwas ganz besonders Schönes über Maria lesen will, dann greife ich zu Luthers Auslegung des Magnifikats aus dem Jahre 1521.“)  

Nun, wir feiern Weihnachten, mitten im nasskalten Winter. Auch heute ist die Frage: Was muss man singen und sagen, damit Jesus als derjenige bezeugt wird, der in diesem Weihnachtsgottesdienst zum Mittelpunkt wird? Was muss geschehen, damit wir mit Überzeugung singen können: „Welt ging verloren, Christ ist geboren“? Mitten in den Nöten, die einige von uns mit in diesen Weihnachtsgottesdienst geschleppt haben! Angesichts all dessen, was uns heute fasziniert und ablenkt von dem eigentlichen Geschehen, das wir heute feiern! Und angesichts der schrecklichen Kriege unserer Tage?

Ich will versuchen, es folgendermaßen deutlich zu machen:  

Gegen Ende der Weihnachtsgeschichte heißt es: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ (Lk 2,19) Ich will auf diese eine Stelle in der Weihnachtsgeschichte hinweisen. Hier vor allem wird es an dem Ort, an dem Jesus geboren wurde hell. Und wenn wir diesen einen Vers betrachten, dann kann es auch bei uns heute hell werden: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“

Hier kommt ein Mensch zur Stille. Es ist wie ein großes Wunder. Über dem gerade Erlebten horcht Maria ganz in sich hinein. Sie legt die Worte, die sie gehört hat, nicht achtlos beiseite. Sie schaltet nicht ab. Sie flüchtet sich nicht in Ablenkungen. Sie ist ganz Ohr, sozusagen: von Kopf bis Fuß aufs Hören eingestellt.

  • In ihr wurde wach, was sie von klein an wusste.
  • Sie erinnert sich an das, was ihr vor Monaten der Engel Gabriel gesagt hatte.
  • Dann an die Worte der Elisabeth.
  • Sie hat die herben Hirten von Bethlehem vor Augen; man musste einfach zuhören, als sie ergriffen mit offenem Mund erzählten.
  • Sie war erstaunt über die Worte der Engel, die die Hirten ihr weitergaben.
  •  Und sie hält es mit dem zusammen, was sie aus der Bibel wusste.

Sie redet nicht darüber. Sie zweifelt nicht daran. Sie muss jetzt nicht handeln. Sie bedenkt alles. Durch dieses Innehalten gewinnt sie ganz neuen Halt. Sie betet darüber, und sie kommt über allem Erlebten ins Staunen. Es ist fast so, wie wenn ein Kind bei einem Puzzle 300, 500 oder 1.000 einzelne Teilchen vor sich verstreut liegen hat und dann mit Eifer, Geduld und Findigkeit ein großes Bild zusammensetzt.

Damals in den Tagen der Geburt Jesu ging es in Palästina ganz und gar nicht still und besinnlich zu. In der römischen Provinz Syrien herrschte eine lärmende, brutale Stimmung. Kaiser Augustus hatte eine Volkszählung angeordnet. Er wollte wissen, von wie vielen Menschen er wie hohe Steuern eintreiben konnte. Er wollte wissen, wieviel Geld er zur Verfügung hat, um die Vielfalt der Länder bei der Stange zu halten die unter dem sogenannten römischen Friedensreich vereinigt waren. Das Straßenbild der Dörfer und Städte war bestimmt von grölenden Soldaten, klirrenden Waffen und barsch befehlenden Beamten. Es war reine Schikane, dass sich Menschen in ihrem Geburtsort in Listen eintragen mussten. In Bethlehem liefen viele Menschen herum, die entnervt und gehetzt waren.  

Und wie ist es bei uns heute?

Wie viele Menschen sind traurig, weil bei dem Bezug von Bürgergeld, früher Hartz IV, nicht viel Geld übrig bleibt, um Geschenke zu kaufen und ein üppiges Essen zum Fest vorzubereiten?

Wie viele Menschen sind bedrückt, weil ihre Ehe zerbrochen ist oder die Familie weit zerstreut lebt?

Wie schwer tun sich die Politiker in Berlin damit, die Haushaltsgesetze zu beachten und trotzdem an Reformprogrammen festzuhalten.

Wie ist die Europäische Union inzwischen voller Spannungen?

In wie vielen Ländern der Erde sind Menschen vom Hunger, von Naturkatastrophen und von Terroranschlägen bedroht oder gar betroffen? Wir denken da besonders an die Menschen in der Ukraine und an die Menschen in Israel und im Gazastreifen.

In wie vielen Ländern werden Menschen um ihres Glaubens willen von anderen gequält und verfolgt? Vor allem leiden Christen in muslimisch geprägten Ländern.

Es kann uns trösten, dass es bei Josef und Maria zunächst auch in ihrem Innersten traurig und dunkel war. Sie hatten in einem erbärmlichen Stall Unterkunft gefunden. Hier leuchtete kein Stern, und hier trat kein Engel auf. Von himmlischen Heerscharen, die „Friede auf Erden“ jubilierten, war hier nichts zu sehen. Sie hatten nur die Erzählungen der anderen.

Aber es blieb nicht so. Maria hat das Jesus-Kind zur Welt gebracht. Joseph hat ihr zur Seite gestanden und geholfen. Sie haben es in eine Futter-Krippe gelegt.  Auf einmal wurde es im Herzen der Maria still, warm und hell. Gott wird das Wunder der Jungfrauengeburt nicht wiederholen. Es sind wahrscheinlich nur wenige, denen heute ein Engel erscheint. Es mögen etwa zehn Personen gewesen sein, die mir als ihrem Gemeindepastor von einer Engelerscheinung erzählt haben. Das Auftreten der himmlischen Heerscharen auf den Hirtenfeldern von Bethlehem ist ganz und gar einmalig gewesen. Das wiederholt sich nicht.  

In einer Betrachtung zu dem Vers aus Ps 119,11: „Ich berge deinen Spruch in meinem Herzen!“ denkt Bonhoeffer nach, und dann schreibt er: „Es ist ein großes Wunder, dass das ewige Wort des allmächtigen Gottes in mir Wohnung sucht, in mir geborgen sein will, wie das Samenkorn im Acker.“ Und dann weiter: „Darum ist es niemals damit getan, Gottes Wort gelesen zu haben; es muss tief in uns eingegangen sein, in uns wohnen, wie das Allerheiligste im Heiligtum.“ Es gibt Menschen, die sind gerade an Weihnachten wie ein frisch gepflügtes Ackerfeld. Wie Samenkörner fallen geistliche Worte in sie hinein, sie keimen; dann durchbrechen sie den Boden; sie wachsen, sie reifen, und endlich bringen sie erstaunliche Frucht.

Gab es nicht doch während des Religions- und Konfirmandenunterrichtes Sätze und Geschichten der Bibel, Wendungen aus dem Gesangbuch und Zitate bekannter Christenmenschen, die in mir haften geblieben sind und über die es sich heute nachzudenken lohnt? Wie viele schimpfen heute über das Auswendiglernen im Konfirmandenunterricht.  Aber gibt es da nicht doch Sätze, die einfach gut sind und mir wieder und wieder vor Augen stehen? Welche Worte oder Bilder aus den Predigten dieser Pfarrerin oder jenes Pfarrers sind in mir haften geblieben? Ist es nicht doch ratsam, die Bibel aus einer hinteren Ecke des Wohnzimmerschrankens hervor zu kramen, sie sich griffbereit hinzulegen und sie ganz neu zu lesen, jetzt als erwachsener Mensch? Kann ich nicht doch in den Liedern zur Advents- und Weihnachtszeit Entdeckungen machen, wenn ich genau hinhöre und nachlese? Ich glaube schon.

Es ist 41 Jahre her. Die Gespräche zwischen mir und dem Familienberater hatten begonnen. Keiner wusste darum. Mir ging es nicht gut. Da erhielt ich în der Adventszeit den Brief eines Freundes, damals 38 Jahre alt. Er hatte sich seine Buntstifte genommen, oben links auf dem Briefkopf einen farbigen Stern gemalt und dann in diesen Stern geschrieben: „Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“ Ich weiß noch heute, wie ich damals dachte: „Wenn du wüsstest, in welche Situation Du mir diesen Satz von Jochen Klepper geschickt hast!“ Zu den letzten Worten der Bibel gehört der Satz des erhöhten Jesus: „Ich … bin der helle Morgenstern.“ (Offb 22,16) Der leuchtet auch in Ihr Leben.

Und noch ein anderes Erlebnis: Vor Jahrzehnten waren wir zu einer Silvester-Freizeit zusammen. In Gruppen tauschten wir uns über einen der Weihnachtstexte aus. Da erzählte eine Studentin folgendes – ich stehe heute noch mit ihr und ihrem Mann in Kontakt: „Ich hatte einen vielbeschäftigten Vater, der nur selten mit uns Kindern gesprochen hat. Auch in der Kirche war ihr Gott nur als der ferne Gott dargestellt worden. Da hatte sie eine Vision: Gott ist ihr als kleines Kind erschienen. Da öffnete sich für sie die Tür, mit Gott zu leben und Gott zu lieben.“ Als ich das hörte, habe ich gedacht: Du hast verstanden, was Weihnachten geschehen ist. Denken wir ruhig an die Gottesdienste, die an diesen Weihnachtstagen in der Ukraine, in Israel und im Gazastreifen gefeiert werden, und dabei an die Menschen, die mit wehem Herzen die Lieder singen, auf die Texte hören und der Predigt ihres Pfarrers oder Priesters zuhören.

Auch für evangelische Christen ist Maria, die Mutter Jesu, ein großes Vorbild. Der Engel Gabriel erschien ihr, und Maria konnte gar nicht anders als zu sagen: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ (Lk 1,38) Gott braucht, wo er mit einem Menschen handeln will, die freie Antwort dieses Menschen. In ihrem Lied sang Maria: „Siehe, von nun an werden mich preisen alle Kindeskinder. Denn Gott hat große Dinge an mir getan.“ Sie brachte Jesus, den Heiland der Völker, zur Welt. Staunend hörte sie, was die Hirten erzählten. Und sie war dabei, als die Weisen kamen, um anzubeten. Gott half ihr, dies alles aufzunehmen, zu bedenken und zu bearbeiten.

So ist sie den Weg mitgegangen, den Gott sie führte: Von Nazareth nach Bethlehem, von Bethlehem nach Ägypten, von Ägypten nach Nazareth, dann  von dort nach Jerusalem, wo Jesus, ihr Sohn, gekreuzigt wurde. Schließlich war sie auch dabei, als dort in Jerusalem die erste Gemeinde Jesu entstand, die Urgemeinde.  

Maria wurde eine der Großen in der Heilsgeschichte. Bei allem, was wir Menschen anpacken, zustande bringen und gestalten, stehen am Ende immer der Zerfall und das Sterben. Aber am Ende der Geschichte, die hier in Bethlehem beginnt, stehen am Ende die Erfüllung und die Vollendung der Verheißungen Gottes.

Diese Frau war ganz am Anfang mit dabei. „Maria aber merkte sich alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen,“ so heißt es in der Basis-Bibel.

Gebet: Lieber Vater im Himmel, es ist unglaublich wichtig, was damals in Bethlehem geschehen ist, auch wenn dort heute kaum gefeiert wird. Aber es ist auch sehr wichtig, wie ich, wie wir heute damit umgehen, ob wir die Sätze der Weihnachtsgeschichte in uns fallen lassen wie Körner in den gepflügten Ackerboden oder auch nicht. Lass die Worte der Weihnachten in uns wirken, wir wollen uns von ihnen aufrütteln lassen, lass sie uns trösten, und lass uns in Zukunft mit Dir gehen. Amen.

Kanzelsegen   

Lied: „Zu Bethlehem geboren / ist uns ein Kindelein“ von Friedrich von Spee, EG 32; 2. Strophe: „In seine Lieb versenken / will ich mich ganz hinab.“

                                                                               Hartmut Frische, Pfr., Minden,