Vor vielen Jahren erlebte ich in der Adventszeit eine Überraschung. Ein Freund – wir sind beide Pfarrer – schrieb mir vor Weihnachten einen Brief. Ich öffnete ihn und sah links oben einen Stern. Dieser Pfarrer hatte sich seine Bundstifte genommen und in verschiedenen Farben einen Stern gemalt. Bevor er dann mit der Hand einen ausführlichen Brief an mich verfasste. In diesen Stern aber schrieb er die letzte Zeile eines Liedes: „Der Morgenstern bescheinet / auch deine Angst und Pein.“ Ich sah den Stern und las diese Zeile des Dichters und Theologen Jochen Klepper. Ich war berührt. Und ich dachte: „Wenn Du, lieber Hans, wüsstest, in welche Situation hinein Du mir diese Worte schreibst.“ Seit etwa sechs Wochen führte ich Gespräche mit einem Eheberater. Keiner meiner nächsten Verwandten und auch meine Freunde wussten etwas davon. Ich lebte mit einer sich steigernden Not, und noch sollte keiner etwas davon mitbekommen. Trotzdem empfand ich diese Zeile aus diesem so eindrücklichen Lied Jochen Kleppers als ein Geschenk des Himmels. Es war vierzig Jahre vorher, die Gesetze gegen Juden bedrohten immer stärker in unserem Land die jüdischen Menschen, auch das Ehepaar Klepper. Klepper war seit 1931 mit der jüdischen Kaufmannswitwe Hanni Stein verheiratet, die zwei Töchter mit in die Ehe gebracht hatte. Immer stärker wurde das Leben dieser Familie und unzähliger anderer jüdischer Menschen eingeschnürt. Noch konnten sich die allermeisten nicht vorstellen, wie brutal die Nazi-Herrschaft mit Menschen umgehen würde. Da schrieb Jochen Klepper in den Jahren 1837 und 1938 aus seiner sprachlichen und theologischen inneren Spannkraft heraus die Lieder, die dann bald in dem Eckart-Verlag in Berlin als Büchlein mit dem Titel „Kyrie“ (= Herr, erbarme dich!) veröffentlicht wurden. Für einige von ihnen wurden Melodien komponiert; bald wurden sie gesungen und fanden ihren Platz in den Gesangbüchern der Kirche. Das bekannteste Klepper-Lied ist das Weihnachtslied:
„Die Nacht ist vorgedrungen, / der Tag ist nicht mehr fern.
So sei nun Lob gesungen / dem hellen Morgenstern.
Auch wer zur Nacht geweinet, / der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“