Hartmut Frische: Hure und Braut

oder: Glanz und Elend einer von Gott abgefallenen Gesellschaft und die tiefe Gemeinschaft zwischen Christus und seiner Gemeinde

Das 22. Kapitel der Offenbarung des Johannes, mit dem das Neue Testament schließt, enthält ein eindringliches und intimes Zwiegespräch zwischen dem zur Rechten Gottes sitzenden Christus und seiner ihn erwartenden Gemeinde, im Bild gesprochen: zwischen dem Bräutigam und der Braut. In Vers 7 beginnt dieses Zwiegespräch mit der Verheißung: „Siehe, ich komme bald!“ Dieser Satz wird in Vers 12 wiederholt. In V.17 antwortet die vom Geist erfüllte und ausgerichtete Gemeinde: „Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm!“ Die hier als Braut bezeichnete Gemeinde fordert Christus auf, wiederzukommen und sich mit ihr vor aller Welt zu vereinigen. Dann wendet sich die Gemeinde noch einmal an alle Menschen und lädt sie ein, mit ihr zu leben und von dem in Christus geschenkten Wasser des Lebens zu trinken: „Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ In Vers 20 bezeugt Christus zum dritten Mal: „Ja, ich komme bald.“ Und die Gemeinde antwortet: „Ja komm, Herr Jesus!“

So persönlich, so direkt, so sehnsüchtig und so entschlossen wird zum Schluss des Neuen Testaments und damit am Ende der ganzen Bibel das Verhältnis zwischen Christus, dem erhöhten Herrn, und seiner noch auf Erden lebenden und kämpfenden Gemeinde gesehen. Die Form des Zwiegespräches zwischen zwei noch getrennten, aber schon zusammen gehörenden Personen und das Bild von dem Bräutigam und der Braut, die ihren Hochzeitstag erwarten, entsprechen einander.

Das Bild von Bräutigam und Braut

Wo die Begriffe Braut und Bräutigam fallen, strahlt Festlichkeit auf. In jedem Menschen werden eigene Erinnerungen an Brautpaare, die auf ihren Hochzeitstag zu lebten und dann Hochzeit feierten, wach. Bilder in Familienalben, Filme und Videos haben festgehalten, wie es gewesen ist. Die Zeit des Wartens ist nun vorüber. Das einmal gegebene Versprechen wird erfüllt. In Liebe geben sich zwei Menschen ihr Ja-Wort zu dem gemeinsamen Leben. Und viele freuen sich mit. Sitten und Gebräuche, Rechte und Pflichten, Hochzeitskleidung und Hochzeitsessen haben sich über Jahrtausende hinweg vielfach geändert. Das Bild von Braut und Bräutigam in den seelischen Tiefenschichten der Menschen bleibt. Ein Bild höchster Beglückung!

Dieses Bild wird von den Propheten des Alten Testaments, von Jesus selbst und von den Aposteln gebraucht, um die Liebe Gottes zu seinem Volk zu beschreiben. In Jer.2,2 z.B. wird das Verhältnis Gottes zu seinem Volk während der Zeit seiner Wanderung durch die Wüste Sinai als eine Zeit ganz besonderer Nähe beschrieben: „Ich gedenke der Treue deiner Jugend und der Liebe deiner Brautzeit, wie du mir folgtest in der Wüste, im Lande, da man nicht sät.“

Neben dem Bild der Braut aber kennt die Bibel in ihren älteren und jüngeren Büchern das Gegenbild der Hure. Gleich im nächsten Kapitel klagt der Prophet das Gottesvolk wegen seiner Treulosigkeit zu Gott und zu den Menschen an: „Hebe deine Augen auf zu den Höhen und sieh, wo du allenthalben dich preisgegeben hast! An den Wegen sitzt du und lauerst auf sie wie ein Araber in der Wüste und machst das Land unrein mit deiner Hurerei und Bosheit!“ (Jer.3,2) Einmal wird das Volk Gottes mit einer Braut verglichen, ein anderes Mal mit einer Hure.

Wenn Paulus der Gemeinde in Korinth schreibt: „Ich habe euch verlobt mit einem einzigen Mann, damit ich Christus eine reine Jungfrau zuführte“ (2.Kor.11,2), dann verwendet er hier den Bräutigam-Braut-Bildkreis, vergleicht „die Gemeinde mit einer Verlobten, …Christus mit dem Bräutigam, sich selbst aber mit dem Brautführer, der die Braut geworben hat, über ihrer Keuschheit wacht und sie dem Bräutigam bei der Hochzeit zuführen wird“[1], wie Joachim Jeremias es beschreibt.

Demgegenüber ist für Paulus die Hurerei eine besonders zu verabscheuende Sünde. Hans Joachim Iwand wagt es, in seiner Meditation zu 1.Kor.6,9-20 zu formulieren: „Es ist offenbar ein anderer, ein ‚unreiner Geist‘ (Mt. 10,1), ein mit Christus unverträglicher und unversöhnlicher Geist, der durch die Hurerei über den Menschen die Macht ergreift. Vor ihm gilt es zu fliehen – und die Fliehburg soll die Gemeinde des Herrn sein.“[2] Es sei hier ausführlich zitiert, was Dietrich Bonhoeffer in seinem Buch „Nachfolge“ zu der Stellung der Hurerei in den Lasterkatalogen der Briefe des Paulus schreibt: „Es ist gewiss nicht zufällig, dass in der Reihe der Sünden die Sünde der Hurerei am Anfang steht. Der Grund hierfür liegt nicht in besonderen Zeitverhältnissen, sondern in der besonderen Art dieser Sünde. In ihr lebt die Sünde Adams wieder auf, selbst wie Gott sein zu wollen, Schöpfer des Lebens sein zu wollen, herrschen und nicht dienen zu wollen. In ihr greift der Mensch über die ihm von Gott gesetzten Grenzen hinaus und vergreift sich an Gottes Geschöpfen …Hurerei ist zuerst Sünde gegen Gott den Schöpfer. Es ist für den Christen aber in besonderer Weise Sünde gegen den Leib Christi selbst. Er gehört allein Christus zu. Die leibliche Vereinigung mit der Hure aber hebt die geistliche Gemeinschaft mit Christus auf.“[3]

Das Bild von der Hure

Was ist Hurerei?

Was mag im Innersten der Frau vor sich gegangen sein, die von Schriftgelehrten und Pharisäern beim Ehebruch ertappt wurde, die man steinigen wollte, die man dann zu Jesus brachte und die dann von ihm Vergebung erfuhr und mit dem Satz entlassen wurde: „Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“ (Joh.8,1-11)?

Man muss hinzufügen: Was mag im Innersten des Mannes vor sich gegangen sein, an dem offensichtlich die Schriftgelehrten und Pharisäer nicht interessiert waren oder der fliehen konnte? In seinem Innersten aber war ebenso ein Gefühlschaos angerichtet worden.

Wie mag es in der Seele der Frau am Jakobsbrunnen ausgesehen haben, der Jesus auf dem Höhepunkt seines einfühlsamen Gespräches auf den Kopf zusagte: „Fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann; das hast du recht gesagt!“ (Joh.4,18)?

Wie mögen die Männer in Korinth Schaden an ihren eigenen Seelen genommen haben, die meinten, als Christen die Freiheit zu haben, zur Hure zu gehen, und die sich dabei an Gott selbst, an der Frau, für die sie Geld bezahlten, und an ihren eigenen Seelen versündigten (1.Kor.6,12-20)?

Wie mag es tief drinnen in den Frauen aussehen, die freiwillig oder gezwungen, grell gekleidet und geschminkt auf dem Kurfürstendamm in Berlin, im Hafenviertel von Amsterdam oder an den Ausfahrtsstraßen von Tschechien stehen und Männern, die zahlen, ihren Leib und ihre Verführungskünste anbieten. Für kurze Zeit erleben ihre Kunden das  Berauschende und Verwirrende sexueller Gefühle. Die Freier gelangen zu einer schnellen Triebbefriedigung, und dann gehen die Prostituierten und ihre Kunden wieder auseinander.

Was mag sich in den seelischen Tiefenschichten der Kinder an Verletzungen und Verhärtungen ablagern, die man in den großen Städten der Welt und auch in unserem eigenen Land gezwungen hat, auf den Baby-Strich zu gehen und so Geld anzuschaffen?

Aus welcher innerlichen Leere und Verantwortungslosigkeit handeln Männer, die wegen sexueller Abenteuer ihren Urlaub im fernen Osten verbringen?

Lieben mit gespaltenem Herzen und mit verwundeter Seele

Die Propheten greifen dieses Bild der Hure auf, um die Treulosigkeit des Gottesvolkes gegenüber Gott deutlich zu machen. Untreue wirkt sich auf alle Bereiche des menschlichen Lebens aus. Sie führt zum Verlust jedes Gefühls und Bewusstseins für persönliche Verantwortung. Sie löst Leben schützende Ordnungen auf und stürzt in das moralische Nichts.

Hurerei geschieht dort, wo Männer und Frauen und leider Gottes auch Jungen und Mädchen nicht mehr wissen und nicht mehr lernen, was Liebe „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“ (5.Mose 6,5; Mt.22,37) ist. Diese großartige Charakterisierung der Liebe zu Gott gilt auch für die Liebe zwischen Mann und Frau in der Ehe. Gott selbst hat es so eingerichtet, dass sich ein Mann und eine Frau, die er zur Ehe berufen hat und die sich einander gut gewählt haben, „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller ihrer Kraft“ lieben können, lieben wollen und lieben sollen. Beide haben es erlebt, dass die eigenen Gefühle den anderen meinen und zu ihm hin drängen. Beide haben bei der Trauung vorbehaltlos zueinander Ja gesagt. Beide sind durch die gemeinsam erlebten Feste und durch die Bewährungsproben des Alltags in der Liebe zueinander gewachsen. Das Gespräch der Liebe mit dem Leib, aus der Seele heraus und mit dem Geist sind nur drei Facetten des tiefen Gefühls aus dem Innern des Menschen. So ist die Ehe der von Gott selbst gestiftete Ort für diese umfassende Liebe. Die Ehe wurde der Liebe nicht aufgezwungen, sondern sie ist ihr abgelauscht. Hurerei dagegen geschieht dort, wo sich Menschen mit gespaltenem Herzen, mit verwundeter Seele und mit verworrenen Kräften zu lieben versuchen.

Hurerei schleicht sich ein und gewinnt Macht über die Menschen, wo das Wort Gottes nicht mehr zwischen Gutem und Bösem, zwischen Seelischem und Geistlichem und zwischen Göttlichem und Satanischem scheiden kann. Die natürlichen Regungen und Kräfte des Menschen wachsen und wuchern dann ungereinigt und ungelenkt.

Hurerei geschieht dort, wo sich schwach und schuldig gewordene Menschen nicht mehr vom Wort Gottes ansprechen, heilen und leiten lassen, und so auch nicht ihren Halt in Gott finden. Sie geschieht dort, wo sie zugleich den Kontakt zu ihrem eigenen Inneren verloren haben und nun von abgründigen Gefühlen in sich bestimmt werden.

Hurerei gibt einem inneren Gefühl nach und spaltet doch die Herzen. Sie verspricht Freude und stürzt in Trauer und Tränen. Sie ist mächtiger als der Wille und die Vernunft. Sie tut so, als würde sie Menschen dazu bringen, ehrlich zu handeln, und ist doch ein einziger Betrug. Wohl dem, der ihr nicht gehorcht und erliegt!

Eine imperiale Macht verheerenden Ausmaßes

Auch heute ist es dringend gefordert, über das Wesen der Ehe nachzudenken, um die Achtung vor der Ehe zu bewahren. Die Ehe ist und bleibt der Raum, in dem umfassende Liebe zwischen Mann und Frau gelebt werden kann und soll. Je mehr Ehen zerbrechen und je mehr Männer und Frauen sich gegenseitig erst verletzen und dann zerstören, desto schneller wird die Hurerei zu einer imperialen Macht verheerenden Ausmaßes, die die Menschen in ihren intimen Beziehungen bestimmt. Diejenigen sind zu beglückwünschen, die, wo sie diese Macht zu spüren bekommen haben, ihr nicht gehorchen. Wie leidvoll sind die Beziehungen, in die Menschen überstürzt fliehen, ohne Heilung für ihr verletztes, zerrissenes und verwirrtes Gefühlsleben gesucht und gefunden zu haben.

Eheberater und Seelsorger müssen in dieser gefallenen Welt in Ausnahmefällen zu Scheidungen von Ehen raten. Aber je mehr Seelsorger und Eheberater, Ärzte und Richter es Menschen leicht machen, eine vor Gott und den Menschen eingegangene Ehe zu lösen oder in einer von Gott nicht gewollten sexuellen Beziehung zu leben, und je mehr Rechtsanwälte dabei zu Lustanwälten werden, desto weniger wird die Liebe, deren Urquell Gott selbst ist, unter uns Menschen die ihr eigene überwindende Kraft erweisen können.

In der Liebe zu Gott und in der Liebe zu den Menschen, mit denen er in der Ehe, in der Familie und in Freundschaften zusammenlebt, findet und festigt ein Mensch sein Ich. Dagegen verletzt und zerstört er sein Ich, wenn seine Beziehungen häufig wechseln, wenn zu oft Verwundungen zurück bleiben und wenn er zum Schluss kaum noch die Stimme seines Gewissens und seines Herzens kennt.

Die Vision von der großen Hure

Nach dem bisher über das Wesen der Hurerei Ausgeführten überrascht es nicht, dass eine der gewaltigen Visionen der Offenbarung des Johannes das Bild einer großen Hure malt. Eindrücklich ist es, wie in Offb. 17 und 18 in einem komplizierten und doch einheitlichen, prächtigen und zugleich erschütternden Bild das Aufkommen und die Zerstörung der Weltmetropole Babylon gezeichnet wird.

Es bleibt das Geheimnis des Sehers Johannes, auf welche Weise in diesen beiden Kapiteln ausführliches Studium des Alten Testamentes, scharfsinnige Beobachtung der politischen Verhältnisse im römischen Reich unter dem Kaiser Domitian, prophetische Erkenntnis, von Gott geschenkte Visionen und seelsorgerlicher Zuspruch an die Gemeinden in Kleinasien, mit denen Johannes sehr vertraut war, ineinander gehen und dann die sprachliche Gestalt der Vision von der großen Hure und von Babylon, der großen Stadt, ausformen. Hier haben wir im Neuen Testament selbst prophetische Gesellschaftsanalyse und damit einen Deute-Schlüssel für jede von Gott sich entfernende oder abgefallene Stadtkultur.

Gleich am Anfang von Offb.17 heißt Babylon (der Deckname für Rom, vgl. 1.Petr.5,13) „die große Hure“, „mit der die Könige auf Erden Hurerei getrieben haben“, und die Folge war, dass „die auf Erden wohnen, sind betrunken geworden von dem Wein ihrer Hurerei“ (V.1f). Sie hat „einen goldenen Becher in der Hand, voll von Gräuel und Unflat ihrer Hurerei“ (V.4). Und dann wird das Geheimnis ihres Namens gelüftet: „Das große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Gräuel auf Erden“ (V.5).

Was Paulus in der theologischen Begrifflichkeit seiner Briefe der Gemeinde in Rom in dem Satz sagt: „Darum hat Gott sie in den Begierden ihrer Herzen dahin gegeben in die Unreinheit, so dass ihre Leiber durch sie selbst geschändet werden!“ (Röm.1, 24), das wird in den Visionen der Offenbarung in dem Bild von der großen Hure dargestellt, jetzt allerdings als wesentliches Moment einer von Gott abgefallenen Stadtkultur. Zunächst einmal spaltet und verwirrt es die Herzen der Menschen, dann bestimmt es das Zusammenleben der Männer und der Frauen, und schließlich verdirbt es ganze Völker der Erde.

Ein weiteres Kennzeichen der Frauengestalt, die das große Babylon sinnbildlich darstellt, ist ihre Üppigkeit. Schon die Darstellung ihrer äußeren Erscheinung macht das deutlich. „Und die Frau war bekleidet mit Purpur und Scharlach und geschmückt mit Gold und Edelsteinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand.“ (V.4) Diese Frauengestalt ist wie die Mätresse eines Königs mit den kostbarsten Kleidern angetan und hat sich mit überreichem Schmuck behängt. In allem konnte sie aus dem Vollen schöpfen. Nirgendwo musste sie sparen. Grenzenlos standen ihr die Güter der Erde zur Verfügung. Der weitreichende Handel Babylons, von dem in Offb.18 ausführlich die Rede ist, stellte den Menschen zur Verfügung, was sie wünschten.

Die Charakterisierung der großen Hure geht weiter. Von ihr heißt es gleich in Offb.17,1: „…die an vielen Wassern sitzt“. Und diese Wasser sind – so wird es in V.15 gedeutet – „Völker und Scharen und Nationen und Sprachen“. Babylon, die große Stadt, die durch die Hure symbolisiert wird, ist also eine Metropole vieler Völker, über die sie Einfluss und Macht gewonnen hat. Ganze Völker werden in ihre Denk- und Lebensart hinein gerissen.

Die Frau auf dem scharlachroten Tier

Nun gehört zu diesem Herrschaftsgebaren der Hurengestalt in dieser Vision noch eine Steigerung. Es heißt in V.3: „Und ich sah eine Frau auf einem scharlachroten Tier sitzen, das war voll lästerlicher Namen und hatte sieben Häupter und zehn Hörner.“ Dieses Tier ist das rücksichtslose, brutale und gotteslästerliche Tier, das in Offb.13,1-9 beschrieben wird. Könige geben dem Tier „ihre Kraft und Macht“ (Offb.17,13). Und doch wird dieses so gewalttätige Tier zum gefügigen Reittier der Frauengestalt.

Die große Hure, dieses imponierende und erschreckende Symbol einer dekadenten Stadtkultur, macht sich die satanische Machtentfaltung, die durch das Tier in Offb.13 symbolisiert wird, dienstbar. Frau und Tier erscheinen für eine gewisse Zeit als Einheit. Die beeindruckenden Errungenschaften einer emanzipierten Kultur und die brutalen Seiten der Gewalt haben sich hier miteinander verbunden. Zunächst verdeckt der verführerische Glanz der schönen Hure die zerstörerische Eigenart des Tieres.

In der Vision von der großen Hure wird Menschen Freiheit und Einfluss, Lust und Luxus versprochen und angeboten, und doch werden sie verführt, unterdrückt und beherrscht (vgl. c.18,23). Im Vordergrund steht die faszinierende, einflussreiche Frau, im Hintergrund lauert die Bestie mit den fletschenden Zähnen.

Schließlich muss auf den Hochmut hingewiesen werden, der das ganze Wesen der großen Hure, diesem Bild für Babylon, bestimmt. Am deutlichsten kommt das in dem protzigen Selbstbekenntnis zum Ausdruck, das Offb.18 enthält: „Denn sie spricht in ihrem Herzen: Ich throne hier und bin eine Königin und keine Witwe, und Leid werde ich nicht sehen.“ (V.7) Allen Menschen, allen Reichen, allen Mächten und allen Widrigkeiten gegenüber fühlt sie sich überlegen.

Die Vision von der prächtigen Frauengestalt auf dem Tier macht also im römischen Reich zur Zeit des Kaisers Domitian offenbar, in welcher Weise Sittenverfall und Üppigkeit, Handel und Herrschaft, Hochmut und in allem Gottlosigkeit das Zusammenleben der Menschen prägen und zumindest für eine begrenzte Zeit die nackte Gewalt des Tieres verdecken, bis dann das Tier die Oberhand über die Frauengestalt gewinnt.

Die nackte, brutale Gewalt des Tieres und die üppige und übermütige Herrschaft der großen Hure sind zwei Erscheinungsformen einer antichristlichen Machtentfaltung. Es gibt Zeiten, in denen sie miteinander verbunden sind und zusammen herrschen. Und es gibt Zeiten, in denen die eine die andere unterdrückt und dann vernichtet (vgl. c. 17,16). In dem blutigen Kampf gegen die Heiligen sind sie eins (vgl. c. 13,7; 17,6; 18,24). Hier wird jede Vernebelung und Umgarnung der menschlichen Gedanken, die zu diesen Machtentfaltungen gehören, durch prophetische Rede, zu der der Geist Gottes selbst inspiriert (V.3), zerrissen. Selbst der greise  Johannes ist während der Vision einen Augenblick lang von dem Bild der großen Hure verwundert (V.6) und angezogen; aber er wird direkt von dem Deuteengel zurechtgewiesen und kann nun der prophetischen Gerichtsbotschaft ganz zur Verfügung stehen (V.7).

Sie streiten wider das Lamm

Am stärksten kommt die Gottlosigkeit und die Feindschaft gegen Gott darin zum Ausdruck, dass die Könige, die zur Koalition mit der Frau und dem Tier bereit waren, die von dem Tier Macht empfingen und die mit ihrer Macht zur Machtentfaltung des Tieres beitrugen, „wider das Lamm“ streiten (c.17,14). Zwischen Babylon, dem Symbol der Weltstadt, und Christus, dem Lamm Gottes, besteht ein unversöhnlicher Gegensatz, der sich je länger, je mehr offenbart. Offb.17 ist die dem Seher Johannes eröffnete Schau des Gerichtes über die große Hure, also über Babylon, die große Stadt. Dabei ist es so, als würde das Wesen dieser von Gott abgefallenen Metropole erst in ihrem Zusammenbruch offenbar. Hier geschieht Apokalypse, das Wegreißen des Schleiers, der über dieser von sündigen Menschen und verderblichen Mächten errichteten Stadtkultur gelegen hat und das wahre Wesen verbirgt.

Es ist zu beachten, wie sich in diesem Kapitel das Gericht Gottes über die große Hure vollzieht. Am Anfang reitet die Frauengestalt auf dem scharlachfarbenen Tier (c.17,3). Zunächst einmal ist die Frauengestalt mit dem Tier, das sieben Häupter und zehn Hörner trägt, eine Einheit. Die Frauengestalt hat es geschafft, sich das Tier und alle, die ihm Macht verleihen, gefügig zu machen. Aber dann richtet sich das Reittier ohne erkennbaren Grund gegen die Reiterin: „Und die zehn Hörner, die du gesehen hast, und das Tier, die werden die Hure hassen und werden sie ausplündern und entblößen und werden ihr Fleisch essen und werden sie mit Feuer verbrennen.“ (c. 17,16)

Das Gericht Gottes über die große Hure

Das Gericht Gottes über die große Hure wird also dadurch vollzogen, dass sich diejenigen, über die sie zunächst geherrscht hat und die mit ihr zusammen die prächtige Macht entfaltet haben, nun gegen sie wenden, sie hassen, bloßstellen und das Feuer des Gerichtes über sie kommen lassen. Gottes Gericht geschieht, indem die Unterdrückten die Unterdrückerin vernichten. Hanns Lilje weist hin auf „ein furchtbares und geheimnisvolles Gesetz der politischen Geschichte, nach dem jede revolutionäre Macht den Keim der Selbstzerstörung in sich trägt“[4]. Man muss hinzufügen, dass jede etablierte Macht ebenso den Keim zur Selbstzerstörung in sich trägt, wenn sie in sich Ungerechtigkeit duldet.

Die Vision von der Hure Babylon lehrt, schon jetzt Tendenzen und Endstation einer von Gott sich entfremdenden Stadtkultur zu sehen. Jeder kann in seiner Welt selbst beobachten, wo Karrieren in der Wirtschaft, in der Politik oder im Show-Geschäft mit zerstörten Beziehungen erkauft werden. Oft geschieht es, dass wirtschaftliche Interessen zu den ausschlaggebenden Faktoren politischer Entscheidungen werden. Menschen kommen an die Schaltstellen der Wirtschaft, die ihr Geschäft vergöttern. So leicht werden in der Wissenschaft und in der Technik von Gott gesetzte Grenzen überstiegen.[5]

Es ist ein Leichtes zu zeigen, wie sehr Pornographie inzwischen die Reklame in den Medien und den in vielen Geschäften zur Schau gestellten und zum Kauf angebotenen Zeitschriftenmarkt durchdrungen hat. Man ist inzwischen darüber erschrocken, wie sehr sich pornographische Darstellungen im Internet tummeln und wie häufig sie angeklickt werden. Wir haben uns schon sehr an das Ineinander von Handel und Herrschaft, Hurerei und Hochmut gewöhnt. Die Filme sind gedreht, die anschaulich zeigen, wie unser Konsum die Schöpfung zerstört, wie eine gefräßige Freizeitindustrie die Heiligung des Sonntags zerstört und wie in unserer Gesellschaft die einen an ihrer Karriere arbeiten und vorankommen und die anderen notorisch in Verlegenheit sind und sich abgehängt vorkommen müssen.

Von Jesus haben wir den Satz: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Mt.16,26) In dem großen Babylon haben die Menschen ungehemmt gestalten und werkeln können, die sich um den Schaden ihrer Seele nicht gekümmert haben und die so zu Herren der Welt und zu Matronen über die Menschen geworden sind.

Dem Bild der Hure steht im letzten Buch der Bibel das Bild von der Braut entgegen. Nachdem die große Hure gerichtet wurde und im Himmel Lobgesänge mit dem vierfachen Halleluja erklingen (c. 19,1.3.4.6), heißt es: „Lasst uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben, denn die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und seine Braut hat sich bereitet.“ (V.7) Das ist ein Aufruf zur Freude über die Hochzeit aller Hochzeiten. Alles, was Menschen an guten Erfahrungen mit Hochzeitsfeiern auf dieser Erde erlebt haben, wird nun angerührt und aufgeweckt, um dieses himmlische Geschehen zu beschreiben und um auf dieses eschatologische Ereignis auszurichten. Alle negativen Erfahrungen mit Liebe und Sexualität, Freundschaft und Ehe sind nun durchgestanden und aufgedeckt, fruchtbar gemacht, vergeben, überwunden und abgetan.

Die innerseelischen Bilder der Menschen, in denen Männern und Frauen, Jugendlichen und Kindern ihr Traum von einer glücklichen Hochzeit vor Augen steht, sind hier ins Bewusstsein gehoben, um die Liebe zwischen Jesus und seiner Gemeinde in ihrer Vollendung zu beschreiben.

Hier geht es nicht nur um die Integration von Trieb und Seele, von Es und Ich, von Sinnlichkeit und Sittlichkeit, die bei so vielen Menschen aufgrund ihrer ureigenen Lebensgeschichte auseinander klaffen, wie Eugen Drewermann es meint[6], sondern um die reif gewordene Liebe zwischen Gott dem Vater und all denen, die sich im Namen Jesu Christi haben rufen lassen, als Kinder Gottes zu leben und die zu Söhnen und Töchtern Gottes geworden sind. „Nun wird das große Mahl der Ewigkeit anheben, für das jedes heilige Abendmahl auf Erden nur wie ein leiser, armer Schatten, ein Vorbild gewesen ist.“[7]

Das Bild von dem Lamm und der Braut in der Vision vom neuen Jerusalem

Das Bild von der Braut und dem Bräutigam bestimmt mit die letzte große Vision vom neuen Jerusalem in der Offenbarung des Johannes (c. 21,1-22,5). Nicht nur die Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, nicht nur die Vollendung des Baus der Gemeinde, nicht nur die Wallfahrt der Völker zum neuen Jerusalem und nicht nur die Erneuerung des Paradieses werden hier miteinander verbunden, auch der Bildkreis von Braut und Bräutigam darf hier nicht fehlen. Diese letzte große Einheit in der Offenbarung des Johannes ist noch einmal ein grandioser Schöpfungsbericht und zugleich eine endzeitliche Vision. Sie beschreibt eine gottesdienstliche Feier. Sie ist ein tiefgreifendes Trostbuch. Sie ist eine herzliche Einladung an alle Menschen, sich auf diesen Horizont menschlichen Lebens einzulassen und zugleich eine klare Warnung an diejenigen, die diese Einladung verachten.

In ganz inniger Ausdrucksweise wird die Vision vom neuen Jerusalem eröffnet. Jerusalem, die heilige Stadt, ist ein Bild für das vollendete Gottesvolk, das „von Gott aus dem Himmel“ herab kommt, „bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann“ (c. 21,2). Alles, was nun in Offb.21f an Fülle und Festlichkeit, an Heiligkeit und Herrlichkeit, an Reinheit und an Dienstbereitschaft angedeutet wird, beschreibt die Gemeinde Jesu Christi in ihrer letzten Vollendung, der sie schon jetzt zustrebt.

Wenn hier von Braut und Bräutigam die Rede ist, dann ist nun alle familiäre Muffigkeit abgetan. Es ist nicht sachgemäß, jetzt an himmlische Sexorgien zu denken, wie sie in archaischen Mythen beschrieben werden. Auch ist es abwegig, sich bei diesem Bildkreis religiöse verbrämte Kultprostitution vorzustellen. Der Gebrauch des Vergleiches von Braut und Bräutigam hier am Ende der Heiligen Schrift beschreibt eine Beziehung, die ganz im Geiste des Evangeliums aufgeschrieben ist und die ganz im Lichte der Ewigkeit steht.

Sie haben sich reinigen und heiligen lassen

Gerade hier muss noch einmal in Erinnerung gerufen werden, wie sehr diejenigen, die jetzt zur Braut des Lammes gehören, sich haben reinigen und heiligen lassen. Sie haben sich den Augen, die leuchten wie eine Feuerflamme (c. 1,14; 2,18; 19,12), gestellt. Sie sind vor dem Mund mit dem scharfen, zweischneidigen Schwert (c. 1,16; 2,12) nicht geflohen. Sie haben sich unter den Tadel Christi gebeugt (s. c. 2,4.14.20; 3,1.15). Sie sind in den Leidens- und Verfolgungserfahrungen der Geschichte Jesus treu geblieben, und sie „haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes“ (c. 7,14; 19,8). Das Bild von der Braut bezeichnet eine Gemeinschaft von Menschen, in der man es gelernt und eingeübt hat, sich gegenseitig zu trösten und zu ermahnen. Sie bekennen sich gemeinsam zu Jesus Christus. Sie feiern miteinander am Sonntag Gottesdienst, und sie stehen bei ihrem Gottesdienst im Alltag der Welt zusammen, auch wenn die Bewährungsproben der Einzelnen in ihren Lebenswelten sehr unterschiedlich sind.

In Eph.5,32 wird das Miteinander zwischen Christus und seiner Gemeinde als ein großes Geheimnis beschrieben. Und damit ist das Geheimnis gemeint, das von Gott empfangen, erwidert und weitergegeben wird. Martin Luther schreibt: „Das ist die rechte Braut, die zu Christus spricht: Ich will nicht das Deine, ich will dich selber haben; bist mir nicht lieber, wenn mir wohl ist, auch nicht unlieber, wenn mir’s übel geht.“[8]

Im Gegensatz zu ihnen stehen diejenigen, die sich von einer Schuld so haben bestimmen lassen, dass sie nicht mehr davon loskommen (vgl. c. 21,8.27;  22,15). Unerbittlich verfallen sie dem Gericht. Gerade weil die Menschen einer so klaren Scheidung entgegengehen und weil die Menschen, die an Jesus glauben und sich in seine Gemeinde stellen, sich schon jetzt von dem trennen, was nicht zum Wesen der Gemeinde passt, ist die große Intimität zwischen Jesus und seiner Gemeinde, zwischen dem Lamm und der Braut möglich.

Dabei stehen alle die Menschen, die sich von Jesus haben reinigen und heiligen lassen und so in die intime Lebensbeziehung zwischen Jesus und seiner Gemeinde hinein gefunden haben, zu denjenigen, die sich noch von gegengöttlichen Kräften bestimmen lassen und ihre Sexualität ohne Beachtung der Gebote und Ordnungen Gottes leben, bis zum dem Tage, an dem Christus wiederkommt, in einer vierfachen Solidarität:

  1. Mit ihnen zusammen leben sie auf dieser Erde als Geschöpfe Gottes und dürfen mit ihrer Art zu empfinden die Schöpfung in allen ihren Bereichen wahrnehmen (1. Mose 1,27ff).
  2. Mit ihnen zusammen bleiben sie vor Gott sündige Menschen und sind so in die Schuldverstrickung der Menschheit hinein verwoben (Röm.3,23). Ihr Leben lang werden sie immer wieder genötigt, in die Abgründe des Lebens hinein zu schauen, um sich dann von Gott, dem Urgrund des Lebens, halten zu lassen.
  3. Sie alle haben die Gnade und Barmherzigkeit Gottes nötig und kommen ohne Gottes Vergebung und ohne sich einander zu vergeben mit ihrem Leben vor Gott und mit den Mitmenschen nicht zurecht. Paulus schreibt: Sie „werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist“ (Röm.3,24).
  4. Und schließlich entdeckt jeder Mensch in seiner Lebensgeschichte Spuren von Gottesgerichten. Gott ist nicht wie in der Vorstellungswelt vieler Zeitgenossen eine schwächliche Figur und darum nicht in der Lage, wahrzunehmen, wo Menschen seine Liebe missachten, seine Gebote übertreten und seine Ordnungen beiseiteschieben. Nein, er belässt sie in ihrem Fehlverhalten („Darum hat Gott sie in den Begierden ihrer Herzen dahin gegeben!“ Röm.1,24.26.28), so dass sie subjektiv zu der festen Meinung kommen, sie könnten nicht anders. Jeder Mensch wird in seinem Leben solche Spuren der Gerichte Gottes entdecken, also Lebensbereiche haben, in denen er von sich aus zu der Überzeugung gekommen war: Ich muss so handeln! Ich kann nicht anders! Gott und die Welt müssen mich so akzeptieren! Aber aus der Sicht der Heiligen Schrift hatte wir es versäumt, uns von Gott unser Fehlverhalten aufdecken zu lassen. Deshalb lässt Gott einen Menschen Jahre seines Lebens in eingefahrenen Gleisen denken, fühlen und handeln.

Wenn ein Mensch geizig geworden ist, wenn ein Mensch sich im Alltag hängen lässt, wenn ein Mensch zum Workaholic geworden ist, also ganz unter dem Zwang steht, ununterbrochen arbeiten zu müssen, wenn ein Mensch in Bezug auf das Spielen an Automaten süchtig geworden ist, ist er ebenso einem Gottesgericht verfallen. In Röm.1,26f  ist von gleichgeschlechtlicher, leidenschaftlicher Liebe die Rede. Wo eine Frau oder ein Mann offenbart, sie oder er könne nicht anders als lesbisch oder homosexuell zu lieben, signalisieren sie eine solche Spur eines Gottesgerichtes, unter dem sie stehen.

Gott aber zeigt  in seiner Gnade seine große Kraft noch einmal viel umfassender und viel einleuchtender, wenn er im konkreten Leben diese Spuren seiner verborgenen Gerichte aufdeckt, das zugrunde liegende Fehlverhalten markiert und Menschen ganz anders, als sie es sich haben träumen lassen, zurecht bringt. In 1.Kor.6,9f zählt Paulus die Laster der antiken Welt, also seiner Zeit, auf, und dann schreibt er seinen Gemeindegliedern in Korinth: „Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.“ (1.Kor.6,11)

Das äußerst sensible Zwiegespräch

Die Vision vom neuen Jerusalem in Offb.21,1-22,5 kündigt Zukünftiges an, auf das Christen und Christinnen allerdings schon jetzt zu leben und an dem sie sich schon jetzt orientieren. In dem letzten Teil findet sich aber nun dieses äußerst sensible und intime Zwiegespräch zwischen dem Lamm, dem wiederkommenden Christus, auf der einen Seite und der Braut, der Gemeinde auf der anderen. Mitten in den Verlockungen, Verführungen und Verfolgungen dieser unserer Zeit erwartet sie Christus sehnsüchtig und lebt voller Freude auf den Hochzeitstag zu. Der V.7 beginnt mit dem Satz Christi: „Siehe, ich komme bald!“, von Christus hier zum ersten Mal gesprochen. Diese Ankündigung wird in V.12 wiederholt.

In V.17 antwortet die Gemeinde: „Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! Und wen da dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ Sehnsüchtig und einladend wird hier gesprochen. Jeder, der seinen Lebensdurst noch spürt, jeder, der mit leeren Händen dasteht und den seine Armut schmerzt, jeder, der noch eine Erwartung auf Erfüllung hat, wird hier eingeladen, dem Ruf: Komm! zu folgen.

„V.17 zeigt, dass das Brautsein der Gemeinde auch schon gegenwärtige Wirklichkeit ist…. Sie wird Braut nicht erst durch die Parusie, sondern durch den Heiligen Geist“, schreibt Adolf Pohl.[9]

Und dann antwortet das Lamm am Thron Gottes: „Ja, ich komme bald!“ (V.20) Christus wiederholt die Verheißung, die er den Seinen in der Welt gibt. Und noch einmal rufen alle, die sich haben einladen lassen, von der Quelle lebendigen Wassers zu trinken: „Ja komm, Herr Jesus!“ Maranatha! (1.Kor.16,22) Die Ausleger nehmen an, dass die Gemeinden in der frühen Christenheit während der Liturgie des Abendmahls mit diesem Ruf das ihnen angekündigte, nahe bevorstehende Kommen Christi erbeten und inständig erwartet haben.

Das Zwiegespräch am Schluss der Offenbarung des Johannes ist ein ergreifendes Zeugnis für die Liebe Jesu zu seiner Gemeinde, die von der Liebe der Gemeinde zu Jesus beantwortet wird. Christus musste so schwach und verletzlich werden wie ein Lamm, damit bedürftige, unvollkommene und schuldig gewordene Menschen ihn, den Sohn Gottes, kennen und lieben lernen und dann zu hell erleuchteten Orientierungslichtern in einer dunklen Welt werden. Zugleich musste Christus in seiner ganzen Macht auftreten, damit alles zerstört wird, was diese Liebe verhindern will.

„Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam“

Johannes der Täufer sagt von Jesus: „Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam; der Freund des Bräutigams aber, der dabei steht und ihm zuhört, freut sich sehr über die Stimme des Bräutigams. Diese meine Freude ist nun erfüllt.“ (Joh. 3,29) Der Täufer versteht sich selbst als der Freund des Bräutigams. Und Jesus selbst ist in diesem Täuferwort als Bräutigam gesehen, der die Gemeinde, das neue Gottesvolk, für sich gewonnen hat.

Jesus selbst hat die Zeit seines Lebens und Wirkens damals in Palästina als Hochzeitszeit, als Zeit der Erfüllung und der Freude angesehen (Mk.2,19). Durch verschiedene Gleichnisse, in denen vom Fest (Luk.14,16ff) und von der Hochzeit (Mt.22,1ff) die Rede ist, bereitete er den Gebrauch des Bildes von der Gemeinde als der Braut vor. Er verglich die Wechselseitigkeit seiner Liebe zu denjenigen, die er liebt und die ihn „von ganzem Herzen, von allen Kräften und von ganzem Gemüte“ (Luk.10,27) wieder lieben, mit der Feier einer Hochzeit.

Siehe, der Bräutigam kommt; geht hinaus, ihm entgegen!“

In den Bildkreis „Hure und Braut“ gehört das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen in Mt.25,1-13. Dieses Gleichnis beginnt mit etwas sehr Schönem: Wenn Jesus wiederkommt, dann ist das wie ein wunderschönes Fest und wie eine rundherum gelungene Hochzeit.

Nach diesem Gleichnis Jesu ist die große Schar der Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu wie eine Gruppe von Brautjungfern, die in der Nacht auf den Bräutigam warten, der seine Braut aus dem Haus ihrer Eltern abholt und in sein eigenes Haus bringt. Das Leben in der Nachfolge ist von dem einen unbeschreiblichen Augenblick bestimmt, in dem Jesus den Seinen gegenübertritt. Jede dieser jungen Frauen hat eine Öllampe, die ihr den Weg leuchtet. Öl ist etwas, was brennt und dabei leuchtet. Es wird ständig verbraucht und muss immerfort erneuert werden. Das Öl ist der Glaube an Gott, die brennende Liebe zu Jesus, die innere Bereitschaft, ihm zu folgen, ihm gehorsam zu sein und für ihn zu arbeiten, und die Hoffnung auf sein Reich.

In der Gleichnis-Geschichte wird es immer später, weil der Bräutigam sein Kommen verzögert. Alle nicken nacheinander ein. Dabei flackern die Lampen mit dem brennenden Öl vor sich hin. Keiner hat gewusst, wann – aber um Mitternacht kommt der Bräutigam. Man rüttelt sich gegenseitig wach, säubert die Lampen – und da passiert das Unglück. Die einen stehen auf und sind bereit. Als die anderen sich die Augen gerieben haben, sehen sie, dass ihre Lampen verlöschen, gerade jetzt, wo die Stunde für das Fest gekommen ist. Die fünf Jungfrauen, die nicht genügend Öl bei sich haben, zählen mit zu denjenigen, die dem Bräutigam entgegen gegangen sind; auch sie hatten sich auf die Hochzeit gefreut; und sie hatten ebenso die Mühe des Wartens auf sich genommen. Und doch hat das alles nicht gereicht. In der entscheidenden Stunde versagen sie, weil das Licht ihrer Lampe verlöscht.

Nun bitten die törichten Jungfrauen die klugen um Öl, aber sie erhalten eine Abfuhr. Es tut weh, zu hören, dass die klugen Jungfrauen hier sagen: „Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein.“ (V.9) Jetzt muss jeder für sich selbst einstehen. Kein Mensch kann ihm mehr helfen. Zu spät kommt die Gruppe der törichten Jungfrauen an die Tür zum Hochzeitsmahl. Sie bitten: „Herr, Herr, tu uns auf!“ (V.11) Aber nun heißt es von innen: „Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.“ (V.12)

Die Worte Jesu sind hier unerbittlich streng. Jede weiche Humanität zerplatzt hier wie eine Seifenblase. Für diesen Teil der Brautjungfern ist dieses Wort das endgültige Aus. „Hier, wo das letzte Heil auf dem Spiele steht, zeigt sich etwas, was dem modernen Leser als grausame Willkür erscheint“, schreiben Edwin Hoskyns und Noel Davey in ihrer Auslegung zur Stelle.[10] Die törichten Jungfrauen stehen unter der Bannformel: „Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht!“

Darüber hinaus aber ruft und rüttelt dieses Gleichnis auf, sich um das Öl in seiner Lampe zu sorgen und sich beschenken zu lassen. Es steht alles auf des Messers Schneide. Jeden Augenblick kann der Ruf: Der Bräutigam kommt! erschallen. Noch ist der Tag des Jüngsten Gerichtes, an dem der Bräutigam Jesus Christus wiederkommt, nicht da. Noch heißt es: „Darum wachet! Denn ihr wisset weder Tag noch Stunde.“ (V.13) Wenn jemand heute erkennt: Ich habe nicht genügend Öl!, dann kann er sich und anderen den Mangel noch eingestehen, dann kann man sich noch gegenseitig die Gefäße mit Öl füllen und dann kann er den wiederkommenden Herrn noch zu lieben und zu fürchten lernen. Noch können wir sündige Regungen in unserem Innersten erkennen und uns vergeben lassen, wo wir in den Machtbereich der Hure hineingeraten sind. Noch können wir Heilung erfahren, wo unsere intimsten Gedanken gespalten und verworren sind. Noch können wir uns auf die Seite der klugen Jungfrauen in der Brautgemeinde stellen.

  1. H.F., Die Botschaft von Patmos, prophetische Bilder der Offenbarung, Neukirchen-Vluyn. 2002, S. 158-178

[1] J. Jeremias, Artikel „Braut, Bräutigam“, ThW Band IV, S.1092-1099, Stuttgart 1942, S.1097

[2] H.J. Iwand, Predigtmeditationen, Göttingen 1966, 3.Auflage, S. 615

[3] D. Bonhoeffer, Nachfolge, München 1964, 8.Auflage, S.257f

[4]  H. Lilje, Das letzte Buch der Bibel, eine Einführung in die Offenbarung Johannes, Bielefeld 1980 8.Auflage, S.246

[5] Man vergleiche hier, wie nach S.P. Huntington „führende Persönlichkeiten“ Asiens die Vorzüge der asiatischen Kultur loben und dann „Hemmungslosigkeit, Faulheit, Individualismus, Kriminalität, minderwertige Bildung, Missachtung der Autorität und ‚geistige Verknöcherung‘ …für den Niedergang des Westens verantwortlich“ machen. S.P. Huntington, Kampf der Kulturen, Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München-Wien 1998, 4. Auflage, S. 165

[6] E. Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese, Band II, Wunder, Die Wahrheit der Werke und der Worte, Vision, Weissagung, Apokalypse, Geschichte, Gleichnis, Olten und Freiburg im Breisgau, 1991, 2.Auflage, S.584f

[7] K. Hartenstein, Der wiederkommende Herr, eine Auslegung der Offenbarung des Johannes für die Gemeinde, Stuttgart 1983, 4.Auflage, S. 165

[8]  M. Luther, Das Magnificat, verdeutscht und ausgelegt, in: Ausgewählte Schriften, hg. v. K. Bornkamm  u. G. Ebeling, 2. Band, Frankfurt 1982, 2.Auflage, S. 134

[9] A. Pohl, Die Offenbarung des Johannes 2.Teil, Wuppertaler Studienbibel, hg. v. W. de Boor, Wuppertal 1985, 7.Auflage, S.348

[10] E.  Hoskyns,  N. Davey, Das Rätsel des Neuen Testaments, Theologische Bücherei Band 7, München 1957, S.49